Schriften zu Zeitschriften: Tumult in der Gelehrtenrepublik
■ War Georges Dumézil, Strukturalist avant la lettre, ein Faschist?
Die Zeitschrift Tumult widmet ihr aktuelles Heft dem französischen Gelehrten Georges Dumézil, dem Erforscher der indoeuropäischen Mythologie. Name und Werk Dumézils, der von 1948 bis zu seinem Tod 1986 am Collège de France Professor für indoeuropäische Zivilisation war, sind in Deutschland so gut wie unbekannt.
Das ist verwunderlich. Nach dem Urteil Michel Foucaults, der hier für einen seiner wichtigsten Lehrer und Mentoren spricht, geben Dumézils Analysen „ein erstes historisches Beispiel für die strukturalistische Vorgehensweise in den Humanwissenschaften“. Tatsächlich hat Dumézil für die Mythologie der Alten Welt etwas geleistet, das sich mit Claude Lévi-Strauss' Erforschung der Mythen der Neuen Welt messen kann. Dennoch gibt es von Dumézils umfangreichem Werk auf deutsch nur eine unvollständige Ausgabe von „Mythe et épopée I“ („Mythos und Epos. Die Ideologie der drei Funktionen in den Epen der indoeuropäischen Völker“, Campus Verlag). Gottfried Pfeffer, Verfasser des Nachworts zu „Mythos und Epos“, hat wahrscheinlich recht, wenn er die schwache Rezeption des Werkes mit dem Fehlen einer übergeordneten, das Studium der Fälle erübrigenden Theorie erklärt. Am griffigsten erscheint von Dumézils Lehre noch die Konzeption einer trifunktionalen Ideologie. An der Spitze dieser hierarchisch gegliederten Funktionen der Ideologie steht die Legitimation der Souveränität (als Magie und Recht), gefolgt von der physischen Gewalt (dem kriegerischen Prinzip des wütenden „Berserkers“), und drittens der Fruchtbarkeit.
Kurz vor seinem Tod ist Dumézil von zwei namhaften italienischen Historikern, Arnaldo Momigliano und Carlo Ginzburg, dem Verdacht politischer Verfehlungen ausgesetzt worden. Die Verdächtigungen folgen unterschiedlichen Motiven. Für Momigliano war Dumézil schon lange aus rein wissenschaftlichem Ehrgeiz ein Feind. So schreibt er anläßlich der Erforschung der römischen Kultur, nachdem er eine ganze Reihe illustrer Namen beiseite gefegt hat (Malinowski, Evans- Pritchard und Lévi-Strauss): „Mein Einwand gegen Dumézils Ansichten [...] besagt nicht nur, daß seine Argumentation schwach ist, sondern auch, daß seine Theorien unnütz sind.“ Momigliano glaubt in Dumézils Buch von 1939, „Mythes et dieux des Germains“, „klare Züge von Sympathie für die Nazi-Kultur“ zu erkennen. Anstoß liefert für Momigliano vor allem Dumézils Parallelisierung der germanischen Berserker mit der SA, der „Sturmabteilung“ der Nazis. Er unterstellt Dumézil in paraphrasierenden Bemerkungen zu dessen Arbeit die freizügige Verwendung des Ausdrucks „Arier“ gerade dort, wo Dumézil im Namen der Genauigkeit von Indoeuropäern spricht und die Verwendung des Ausdrucks beschränkt wissen wollte auf Völker, „von denen man aus Texten weiß, daß sie sich selber so genannt haben“. Solche Kritik fällt auf den Kritiker zurück.
Ginzburgs Text „Germanische Mythologie und Nazismus“ setzt anders an. Keine Kollegenschelte, sondern ein politisches und letztlich hermeneutisches Problem: Wie mit einem Buch umgehen, das gegensätzliche Interpretationen zuläßt. Letztlich geht es um die Frage, ob Dumézil hinter der Larve des vergleichenden Gelehrten mit der politischen Rechten sympathisiert hat. Suspekt wurden Dumézils Arbeiten dadurch, daß sie trotz oder wegen ihrer akribisch sachlichen Verfahrensweise von der politischen Rechten in Anspruch genommen und mißbraucht werden. Da ist die Widmung seines ersten Buches, „Le Festin d'immortalité“ von 1924, an seinen rechtsextremen Freund Pierre Gaxotte. Dann ist da das zwielichtige Milieu des Collège de Sociologie (um Roger Caillois und Georges Bataille), in dessen Nähe Dumézil sich zeitweise befand. Die neutrale Geste des Komparatisten ist widersprüchlich interpretiert worden. Der Historiker Marc Bloch, der Dumézils Buch in der Revue historique von 1940 besprach, verstand es ganz im Sinn seines Autors als Warnung.
Dumézil hatte auf die Beziehung verwiesen, die zwischen den mythischen beziehungsweise historischen Berserkern, den Wilden Kriegern unter Odins Schirmherrschaft, den mittelalterlichen Männerbünden und der „Sturmabteilung“ der Nazis bestanden. Er hatte es in dem neutralen Ton geschrieben, der Komparatisten eigen ist. In seiner Antwort auf Momigliano schreibt Dumézil: „... das Reich der Komparatisten ist nicht von dieser Welt. Worauf wir hinweisen, das betrifft nicht die gelebte Wirklichkeit.“ Wenn Dumézil ausführt, daß es in der germanischen Mythologie im Zuge einer Aufweichung der trifunktionalen Ordnung keinen Widerspruch und keinen Abstand zwischen dem „Schlachtengott“ und dem „Rechtsgott“ gibt, statt dessen eine Anpassung der zweiten Funktion an die erste, der kriegerischen Gewalt an Weisheit und Recht; wenn Dumézil schreibt: „In der Ideologie und in der Praxis der Germanen hat der Krieg alles erobert, alles geprägt“; und wenn er angesichts dessen von einer „kriegerischen Verzerrung“ dieser Mythologie spricht, dann scheinen das deutliche Worte zu sein.
Ginzburg fordert die „Unterscheidung zwischen wissenschaftlicher Forschung und ideologisch motivierten Thesen“. Ob Dumézils Hinweis auf die Kontinuität zwischen germanischer Mythologie und den ideologischen Versatzstücken der Nazis den Tatbestand der Verniedlichung erfüllt, wird von Ginzburg erwogen, aber nicht entschieden. Frank Lucht
„Tumult – Schriften zur Verkehrswissenschaft“, Nr. 18: „Georges Dumézil – Historiker, Seher“, Turia & Kant, Wien 93
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