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Tugendhafte Talkshow

 ■ S T A N D B I L D

(Drei vor Mitternacht, Di., 12.6., West 3, 22.45 Uhr) Talkshows sind sehr preiswert zu produzieren und darum bei privaten wie öffentlich-rechtlichen Anstalten eine überaus beliebte Sendeform. Ob die Zuneigung der HerstellerInnen mit Zuschauerzuspruch gleichen Grades belohnt wird, wäre mal eine Untersuchung wert. Eines dieser Lifestyle-Magazine, die von allen Leuten beschimpft, aber auch mit Wonne gelesen werden, veröffentlichte kürzlich einen Talkshow-Test und vergab ausschließlich schlechte Noten. Einzig die Anzüglichkeiten eines Karl Dall kamen - zu Recht - gut weg. Aber auch eine sachliche Rederunde kann unterhaltsam und sogar spannend sein. Die WDR-Talkmasterinnen Gisela Marx und Wibke Bruhns bewiesen es mit ihrer Sendung zum Thema Tutti Frutti oder Politik - Über die Medienlandschaft in Ost und West, die hoffentlich kein Einzelstück in dieser Reihe war.

G. Marx und mit leichten Einschränkungen auch W. Bruhns verfügen über die Fähigkeit, durch treffsicheres, gelegentlich insistierendes, aber nicht über Gebühr indiskretes Fragen, durch höfliches Nachfassen und kompetente Ergänzungen zu Ergebnissen zu kommen, wo andere nur Zeit schinden und Belanglosigkeiten produzieren. „... respektlos, ohne dreist zu werden“, so beschrieb der Ex -USA-Korrespondent und heutige WDR-Chefredakteur Fritz Pleitgen die Interviewtechniken angelsächsischer JournalistInnen und bemerkte bedauernd, daß in Deutschland diese Tugend noch eher selten zu finden sei. Wie animierend trotz teils spröder Gäste die Moderation geriet, zeigt das Beispiel Felix Huby. Der Ex-'Spiegel'-Journalist und heutige Autor von TV-Serien war schon in etlichen Talkshows zu Gast, wurde aber selten so ergiebig befragt wie in dieser Sendung. Von Vorteil war dabei gewiß, daß die Talkshow am runden Tisch stattfand, daß alle Gäste miteinander redeten und auch Fragen stellten, woraus sich locker-lebhafte Gespräche entwickeln konnten. Die beiden Moderatorinnen waren souverän genug, sich an solchen Stellen auch schon mal zurückzuhalten, ließen ausreden wo möglich, unterbrachen wo nötig und besaßen noch genügend Spontaneität, um 24 Uhr dem verantwortlichen Redakteur Johannes Wicke aus Anlaß seines 60. Geburtstages zuzuprosten.

Indes stellt sich die Frage, ob diese Unverkrampftheit nur möglich war und ist, weil der Sendeplatz am späten Abend eines Wochentages eine Art Spielwiese darstellt. Der WDR (und andere dritte Programme könnten sich ruhig anschließen, statt mit Nasenbohrershows a la NDR-Talkshow oder Drei nach neun ihr Publikum zu vergraulen) wäre gut beraten, etwas so Vorzeigbares auch attraktiv zu plazieren. Wie wäre es mit Drei nach acht statt Drei vor Mitternacht?! Ein kleiner Tip mithin für ins Kabel Verstrickte: Am Samstag, 16.6., um 22.40 Uhr wird Drei vor Mitternacht auf 1plus wiederholt. Die nächste Live-Sendung folgt am 4. August.

Herr Dittmeyer

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