Türkisches Gericht bestraft Kurden: Briefeschreiben verboten
53 kurdische Bürgermeister wurden in der Türkei zu Geldstrafen verurteilt, weil sie sich für den Erhalt des Kurdensenders Roj TV eingesetzt hatten.
ISTANBUL taz Ein Prozess gegen 56 Bürgermeister im kurdisch besiedelten Südosten der Türkei ist gestern mit der Verurteilung von 53 von ihnen zu Ende gegangen. Anlass für den Prozess war eine Auseinandersetzung um den kurdischen Sender Roj TV, der von Dänemark aus über Satellit ausgestrahlt wird. Die türkische Regierung wirft Roj TV vor, offen die PKK zu unterstützen, und drängte deshalb die dänische Regierung, den Sender zu schließen. Die kurdischen Bürgermeister hatten den dänischen Ministerpräsidenten Fogh Rasmussen daraufhin in einem Brief gebeten, Roj TV zu erhalten.
Der Auslöser für den Vorstoß der türkischen Regierung waren schwere Straßenunruhen vor zwei Jahren in einigen kurdischen Städten, die nach ihrer Ansicht durch Roj TV angefacht und gesteuert worden seien. Der Sender selbst bestreitet diese Vorwürfe und versichert, mit der PKK nichts zu tun zu haben. Die dänische Regierung hat Roj TV bislang nicht angetastet. Roj TV läuft in fast jedem kurdischen Haushalt.
Das Gericht verurteilte zwar 53 der 56 Angeklagten, allerdings nicht wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, wie von der Staatsanwaltschaft gefordert, sondern nur wegen "Befürwortung einer Straftat". Dadurch reduzierte sich das Strafmaß auf zwei Monate Haft, die aber in allen Fällen schließlich in eine Geldstrafe von rund 900 Euro umgewandelt wurde.
Zu den Verurteilten gehört auch der Bürgermeister von Diyarbakir, Osman Baydemir, einer der populärsten kurdischen Politiker. Bereits eine Woche zuvor war die prominente kurdische Politikerin Leyla Zana in erster Instanz zu zwei Jahren Haft verurteilt worden, weil sie den PKK-Chef Abdullah Öcalan in einer Rede während des Nevroz-Festes als großen politischen Führer der Kurden gelobt hatte. Politische Beobachter sehen diese Urteile auch im Zusammenhang mit dem laufenden Verbotsverfahren gegen die kurdische Partei DTP. Der Generalstaatsanwalt hat das Verbot der DTP beantragt, weil diese nicht bereit ist, sich von der PKK zu distanzieren. Diese Urteile könnten dann als Beweise für die PKK-Nähe der DTP angeführt werden.
Ab morgen wird im türkischen Parlament auch über eine Modifizierung des berüchtigten Strafrechtsparagrafen 301 diskutiert, der die Beleidigung des Türkentums unter Strafe stellt und als Grundlage für die Verfahren gegen Orhan Pamuk und andere Schriftsteller und Journalisten gedient hat. Nun soll der Begriff "Türkentum" durch "türkische Nation" ersetzt werden. Künftig soll der Staatspräsident entscheiden, ob ein Verfahren eröffnet wird. Außerdem soll das Strafmaß von drei auf zwei Jahre gesenkt werden. Die meisten unabhängigen Juristen kritisieren, dass solch eine Änderung lediglich kosmetischen Charakter hätte. Die strafrechtliche Relevanz einer Meinungsäußerung sei immer noch fast beliebig interpretierbar, die Entscheidung über die Eröffnung eines Verfahrens bei dem Präsidenten anzusiedeln darüber hinaus eine Nichtachtung der Gewaltenteilung. JÜRGEN GOTTSCHLICH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“