: Türkisch bis zum Abi
Der herkunftssprachliche Schulunterricht wurde um 82 Kurse in zwölf Sprachen aufgestockt, vor allem in Türkisch, Arabisch und Dari/Farsi. Die Konsulate machen weniger Angebote
Von Kaija Kutter
„Das ist eine große Chance“, sagt Schulleiterin Banu Graf. Denn jede Sprache, die von der Pike auf gelernt wird, sei ein Schlüssel dafür, „auch andere Sprachen zu erlernen“. Hier könne man „Potenzial ausschöpfen, das sonst im Verborgenen ist“.
Die Leiterin der Grundschule Kerschensteinerstraße in Wilhelmsburg kam ins Schwärmen, als sie gestern mit Schulsenator Ties Rabe (SPD) eine Bilanz zum herkunftssprachlichen Unterricht vorstellte. Der wurde seit 2016 um 27 Prozent ausgeweitet. Seither gibt es 82 zusätzliche Kurse mit 900 Schülern. Damit nutzen über 4.000 Schüler neben dem üblichen Fremdsprachenunterricht Angebote in ihrer Herkunftssprache.
Das beginnt wie bei Banu Graf in der Grundschule. 150 von rund 400 Kindern dort haben den „Sprachhintergrund Türkisch“. Sie lernen auch in dieser Sprache, nicht am Nachmittag in separaten Kursen, sondern parallel zum Deutschunterricht, wenn dort Übungen stattfinden. In der ersten und zweiten Klasse ist es je eine Stunde pro Woche, in der dritten Klasse sind es zwei und in der vierten, wo es Zensuren dafür gibt, drei Stunden Türkisch die Woche.
Sorgen, dass diese Kinder Deutsch verpassten, müsse man nicht haben. Banu Graf, die selbst einen Migrationshintergrund hat, warb für eine andere Wertung. Spreche ein englischsprachiges Kind seine Muttersprache gut, würde es hier bewundert. „Aber wenn wir ein türkischsprachiges Kind haben, das perfekt Türkisch spricht – haben Sie schon mal gehört, dass jemand sagt: ,Oh, toll, wie gut spricht der gerade Türkisch!‘?“ Da werde meist eher die Nase gerümpft. Gerade um diese Gleichwertigkeit zu erlangen und auch diese Kinder zu stärken, sei der Unterricht in ihrer Sprache so wichtig.
An weiterführenden Schulen kann die Herkunftssprache im Rahmen des Wahlpflichtunterrichts oder als zweite Fremdsprache belegt werden, an einigen dann in der Oberstufe sogar bis zum Abitur. Die Behörde gebe „Rückenwind“ und unterstütze die Kursgründung auch dann, wenn eigentlich nicht genug Interessenten dort seien, sagte Rabe. Man investiere dafür eine halbe Million Euro.
Allein für Türkisch sind seit 2016 46 Kurse entstanden, hinzu kamen zwölf Angebote in Arabisch und 20 Kurse in Dari/Farsi – Sprachen, die in Afghanistan und im Iran gesprochen werden. Diese seien seit der Zuwanderung von 2015 besonders häufig gesprochene Herkunftssprachen unter Schülern, ergänzte Behördenreferent Eric Vaccaro.
In Hamburg können Schüler in 15 verschiedenen Fremd- und Herkunftssprachen Abiturprüfungen ablegen:
Arabisch, Chinesisch, Deutsch, Englisch, Farsi, Französisch, Griechisch, Italienisch, Japanisch, Latein, Polnisch, Portugiesisch, Russisch, Spanisch und Türkisch.
Früher, in den 1970er-Jahren, sagte Rabe, hätten die Konsulate solche Kurse angeboten, weil die staatlichen Schulen das Bedürfnis der Einwandererfamilien ignoriert hätten, ihre Kinder die Herkunftssprache lernen zu lassen. „Heute sind wir klüger. Zu einer gelungenen Integration gehört, die eignen Wurzeln nicht zu verleugnen.“ Die Teilnehmerzahl im Konsulatsunterricht sei seit 2016 zurückgegangen, bei Türkisch von 737 auf 349 Kinder. Rabe sagte, er habe mit dem türkischen Konsulat ein langes Gespräch geführt und von diesem noch Hinweise bekommen, an welchen Schulen Sprachkurse sinnvoll wären.
Die Vorbehalte, im Konsulat würden Kinder politisch beeinflusst, könne er indes nicht bestätigen. Hamburgs Schulbehörde habe im Konsulatsunterricht hospitiert und nichts derartiges feststellen können, berichtet Rabe. Im Gegenteil, die Lehrer an den Konsulaten seien am Austausch interessiert und hätten Bedarf, über die Weiterentwicklung des Sprachunterrichts zu reden.
Freilich sind Rabes Erfolgszahlen trotz der Steigerung noch bescheiden, wenn man bedenkt, dass 40 Prozent der knapp 200.000 Schüler in Hamburg zwei- oder mehrsprachig aufwachsen. Das sieht auch Rabe so. Sein Ziel sei, in drei Jahren 5.000 Schüler in den Kursen zu haben. Ein Problem sei, dass oft Angehörige einer Sprache – etwa für Griechisch – weit über die Stadt verstreut seien. Auch seien nicht alle Eltern an diesem Angebot für ihre Kinder interessiert.
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