Tübingens Oberbürgermeister: Palmer geht, Problem bleibt

Der Parteiaustritt von Boris Palmer ist von den Grünen begrüßt worden. Für klare Haltung in der Flüchtlingspolitik braucht es mehr Courage.

Demonstraten tragen ein Banner mit dem Bild von Boris Palmer: Rassismus bekämpfen heißt Palmer bekämpfen

Kundgebung in Tübingen gegen den „grünen“ Oberbürgermeister Palmer im Mai 2021 Foto: ULMER/picture alliance

Endlich ist er weg. Die Erleichterung über den Parteiaustritt von Boris Palmer ist bei vielen Grünen spürbar. Und verständlich. Viel zu oft hat der wichtigste Tübinger OB der Welt mit vulgären Ausfällen und rabiater Rhetorik gegen Minderheiten den politischen Diskurs vergiftet und das Image der Grünen als humanitäre Vorzeigepartei beschädigt. Wenigstens damit ist jetzt Schluss.

Mit seinem Abgang hat Palmer die Grünen von ihrem seit Jahren ungelösten Problem befreit, wie sie ihr peinliches Mitglied möglichst geräuschlos und gerichtsfest loswerden können. Die rote Linie hat er jetzt praktischerweise selbst gezogen. Interessanterweise nicht, weil Palmer zum x-ten Mal absichtlich provozierend das N-Wort rausbellte. Sondern weil er die ihrerseits unangemessenen „Nazi“-Beschimpfungen durch seine Gegner mit einem „Judenstern“ verglich.

Ein geschichtsvergessener Tabu­bruch, mit dem man sich in Deutschland zu Recht unmöglich macht. Palmer hätte wissen müssen, dass ihn danach selbst seine treuesten grünen Freunde nicht mehr verteidigen konnten. Gut, dass sich Palmer jetzt eine Auszeit nimmt und professionelle Hilfe holt.

Für die Grünen, die ihrem ewigen Störenfried nun wie Parteichef Omid Nouripour zum Abschied noch „ein gutes Leben“ wünschen, scheint der Fall Palmer zwar erledigt. Doch das gibt ihnen nur eine kurze Verschnaufpause. Die wahren, strukturellen Probleme für die Regierungspartei beginnen erst – wenn es um die Flüchtlings- und Migrationspolitik der Ampel geht. Die Herausforderungen auf diesem Feld zeigen sich täglich drängender.

Die Grünen brauchen Ausdauer und Mut

Es wirkt fast wie eine Ironie des grünen Schicksals, dass sie die Partei genau an jenem wunden Punkt treffen, den Palmer mit seinen ressentimentgetriebenen Tiraden gegen Geflüchtete offengelegt hat: die wachsende Diskrepanz zwischen dem hehren moralischen Anspruch der Grünen und realer Regierungspolitik. Selbst die grün regierte Stadt Hannover hat kürzlich erklärt, keinen Platz für Geflüchtete mehr zu haben.

Just am selben Tag, an dem Palmer stürzte, verkündete Innenministerin Nancy Faeser (SPD), dass die Ampel ab sofort verstärkt für Asylverfahren schon an den EU-Außengrenzen eintrete. Die FDP fordert, man müsse „irreguläre Migration unterbinden“. Was nun, Grüne? Die latent rassistischen Ausfälle Palmers zu verurteilen war einfach, da war man sich schnell einig.

Wenn sich die Grünen aber dem Begrenzungsdruck entgegenstellen möchten, bräuchten sie Ausdauer, Überzeugungskraft, Geld und viel mehr Mut, als sich von einem hemmungslosen Provokateur zu distanzieren, der sich selbst ins Aus geschossen hat.

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