: Tschüss Hauptschule
Nach Hamburg und Schleswig-Holstein stellen sich auch die Christdemokraten in Niedersachsen auf das langsame Aussterben der Hauptschule ein. Zudem wird die Wut der Lehrer mit Mehrarbeits-Bonus und mehr Pädagogen besänftigt
VON KAI SCHÖNEBERG
Dreigliedrig war früher ein Muss, doch die CDU in Hamburg und Kiel ist schon wegen der Macht des Faktischen eingeknickt. Gemeinsam Lernen bis zur 10. Klasse ist in Schleswig-Holstein ein Renner, wenn am heutigen Mittwoch die Hamburger CDU die grüne Bildungssenatorin Christa Goetsch inthronisiert, läutet sie damit auch das Ende der Hauptschule ein.
Langsam erkennt auch die CDU in Niedersachsen an, dass das dreigliedrige Schulsystem nicht mehr lange zu halten ist: „In Hannover wird es relativ schnell keine Hauptschule mehr geben“, sagt Kultus-Staatssekretär Peter Uhlig. Auf dem platten Land sei die Schulform weiter wichtig, aber vor allem in den Ballungsräumen leide die Hauptschule trotz aller Reformen unter einem „schlechten Image“. Es werde künftig mehr Kooperation zwischen Haupt- und Realschulen geben müssen, zum Beispiel gemeinsame Lehrer, fügte Kultusministerin Elisabeth Heister Neumann (CDU) an. „Sonst haben wir auf Dauer keine wohnortnahen Schulen mehr.“
Dass die Eltern die Hauptschule als vermeintlichen Abstieg für ihre Kinder reihenweise abwählen, wurmt die Ministerin: „Wir werden bei der Beratung nachlegen müssen.“ Doch vor allem der demografische Wandel zwingt die Christdemokratin zum Umdenken. Bis 2018 dürfte sich die Zahl der Schüler in Niedersachsen um rund ein Viertel oder um etwa 200.000 vermindert haben. Etwa 2.200 kleinere Schulen könnten in ihrem Bestand gefährdet sein. Kleines Eingeständnis, um den Wählerunmut zu dämpfen: In der vergangenen Woche kündigte Heister-Neumann an, das Gründungsverbot für Gesamtschulen zu lockern.
Am Dienstag versuchte sie, den Unmut an der Lehrerfront abzuräumen: Mehr als 6.000 Pädagogen wollen am morgigen Donnerstag in Hannover gegen die Verlegung des Überstundenabbaus auf die Zeit kurz vor dem Pensionsalter demonstrieren. Das sei ihr „gutes demokratisches Recht“, sagte Heister-Neumann. Und kündigte eine Regelung an, die die „Belange der Lehrkräfte in einem größeren Maß als das bisher der Fall ist berücksichtigt“ – also eine Rolle rückwärts. 410.000 Stunden haben die rund 80.000 niedersächsischen Lehrer seit der Einführung der Arbeitszeitkonten im Jahr 1998 angesammelt, ab dem kommenden Schuljahr sollte der Abbau eigentlich beginnen. Der Plan, das auf die Zeit kurz vor der Pension zu verschieben, hatte zu geharnischtem Protesten von Lehrerverbänden geführt. Vorwurf: „Vertrauensbruch“.
Nun soll das Abbummeln generell auf das Schuljahr 2012 / 13 verschoben werden, wenn durch den doppelten Abi-Jahrgang im Jahr zuvor Lehrerkapazitäten frei sind. Wer erst dann oder sogar erst am Ende der Lebensarbeitszeit abbaut, bekommt sogar Überstunden-Zinsen in Höhe von zehn Prozent – das hatte die GEW gefordert. Die Überstunden können auch ausgezahlt werden.
Bis zu den Sommerferien sollen die Lehrer sich aber auch entscheiden können, dass sie ab August mit dem Abbau der Mehrarbeit beginnen – ohne Zinsen. Gleichzeitig hat Heister-Neumann 500 neue Lehrerstellen beim Finanzminister beantragt, um den Unterricht vor allem in den Naturwissenschaften zu sichern. Wert: rund zehn Millionen Euro. Außerdem sollen in den Mangelfächern künftig Pensionäre und auch Hilfskräfte für den Unterricht gewonnen werden. Die Bestellung von fachfremden Unterrichtshelfern hatte zuletzt in Hessen für Proteststürme gesorgt.
„Die Umschulung dieser Leute ist teuer“, sagt GEW-Landeschef Eberhard Brandt. Dennoch begrüßte er den Umfaller der Landesregierung: „Wir freuen uns natürlich, dass die Demonstration schon im Voraus Wirkung zeigt.“ Heister-Neumann habe „die Kuh, die sie jetzt vom Eis holen will, zuvor ohne Not dorthin getrieben.“ sagte Frauke Heiligenstadt (SPD). Sie hält die Ministerinnen-Pläne gegen das Hauptschulsterben für völlig unzureichend: „Bezüglich dieses Problems ist Niedersachsen immer noch das reaktionärste Bundesland.“