: Truffaldino von Becketts Gnaden
Niels-Peter Rudolph inszenierte „Der Diener zweier Herren“ am Deutschen Theater in Berlin ■ Von Esther Slevogt
Im Hinteren der Bühne steigt über eine Mauer ein Mann und ruft ein zaghaftes „Hallo!?“ Im Zuschauerraum brennt noch Licht, das erst verlöscht, als der Mann ein Spielpodest im Vorderen erreicht: die Bretter, die, wenn nicht die Welt, so doch das Theater bedeuten. Er kämpft einen stummen Kampf mit einem Scheinwerfer, der sich plötzlich grell auf ihn richtet. Eine abgerissene Gestalt mit Drei-Tage-Bart. Ein Stadtstreicher vielleicht, oder einer, der auf Godot wartet. Die Zuschauer indes warten auf Goldoni, mit dessen Der Diener zweier Herren Niels-Peter Rudolph zum Jahreswechsel am Ostberliner Deutschen Theater sein Regiedebüt gab. Bald füllt eine schrille Komödiantentruppe das Spielpodest. Goldoni kommt. Und wie er kommt. Mit einem kongenialen Dieter Mann als Truffaldino. Aus der Spätzeit der Commedia dell'arte in die Frühzeit der Cinématographie. Von Godot nach Absurdistan. Es wird aus dem Stehgreif gespielt, ein Theater mit den Mitteln des Stummfilms.
„Ich esse, also bin ich“, sagt Truffaldino, frei nach Descartes, in Rudolphs eigener Spielfassung des Textes. Und weil das Sein das Bewußtsein bestimmt, kann er sich Loyalität einem Herren gegenüber nicht leisten und verdingt sich noch bei einem zweiten. Wird der Diener zweier Herren, um sein eigener zu bleiben. Drei Interessen, zwischen denen Truffaldino sich schier verrenkt und trotzdem zu seinem Recht nicht kommt.
Denn in der Welt, in der er sich bewegt, ist jeder sich selbst der Nächste und dem, der seinen Interessen dient. Beatrice will an das Geld, das Pantalone ihrem toten Bruder schuldet. Und Pantalone will sich möglichst vorteilhaft aus der Affäre ziehen und seine Tochter an der vermeintlichen Gläubiger verheiraten, für den Beatrice sich (jetzt in Männerkleidern) ausgibt. Und auch wer liebt, hat dabei mehr sich selbst im Sinn. Wer Macht hat, übt sie aus. Wer kein Opportunist ist, der wird aufgerieben. Es sind die Schwächen der Menschen, aus denen Komödien ihr Kapital schlagen. Niels-Peter Rudolph und sein Ensemble wuchern nicht mit ihren Pfunden. Mit wüstem Slapstick und großem Theater, mit derben Chargen und wunderbaren Schauspielern gehen sie drei Stunden auf ihr Publikum los, das seine helle Freude hat.
Michael Walke, als schmieriger Vorstadt-Wiener mit Elvis-Tolle, ist ein hinreißender Brighella. Reimar Joh. Baur — ein zauseliger Pantalone, den nur die geschwundene Kraft im Alter davon abhält, ein echter Schweinehund zu sein — läuft manchmal zu Minetti-Format auf. Horst Hiemer als Pantalone, Eva Weißenborn als Clarice und Daniel Morgenroth als Florindo, sie alle agieren mit solcher Grandezza, daß man bei darstellerischen Schwachpunkten hie und da ruhig ein Auge zudrücken kann. Von ganz eigener Kraft ist Simone von Zglinicki, die dem Klamauk, der ihr streckenweise arg gegen den Strich zu gehen scheint, eine weltweise Smeraldina entgegenhält. Ihr verdankt der Abend einige seiner größten Momente, ihr und Dieter Manns Truffaldino — ein Truffaldino von Becketts (und von Chaplins) Gnaden.
Der naheliegenden Versuchung, aus Goldonis Stück über einen Diener, im Spagat zwischen einem alten und einem neuen Herren, eine Farce über die DDR nach der Wende bzw. die neuen Bundesbürger nach der Wiedervereinigung zu machen, ist Rudolph gottlob nicht erlegen. Zwar kann er sich in seiner Spielfassung ein paar freche Anspielungen und Einschübe nicht verkneifen, doch statt des Zeigefingers zeigt er uns die lange Nase.
Aber der Spaß ist nie ungetrübt. Hinter manchem Kalauer tut sich ein Abgrund auf. Hinter dem Scherz tarnt sich oft nackte Verzweiflung. Und selbst Goldonis Happy-End ist in Rudolphs Inszenierung so glücklich nicht. Als sich nach gelungener Vereinigung der Liebenden zu Paaren die Starken auf die Schwachen stürzen wollen, auf Truffaldino und Smeraldina, können die sich nur mit dem verzweifelten Ruf „Die Komödie ist aus!“ in Sicherheit bringen.
Carlo Goldoni: Der Diener zweier Herren, Regie: Niels-Peter Rudolph, Bühne: Götz Loepelmann. Deutsches Theater Berlin. Nächste Aufführungen: 9., 16. und 22.Januar
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