piwik no script img

Trümmersprüche auf der UN-KlimakonferenzHinter vielen Phrasen steckt ein Sinn – Wir sind noch hier

Die Klimakrise nicht effektiv genug zu bekämpfen, ist ein Versagen. Aber den Weltuntergang aktiv voranzutreiben, ist ein Verbrechen.

Überholte Phrasen, die doch irgendwie Sinn ergeben, ähnlich wie Nationalstaaten bei einer globalen Klimaerwärmung Foto: Fernando Llano/AP Photo

W er Kinder hat, der kennt dieses plötzliche Erschrecken über sich selbst. Plötzlich purzeln Sätze aus unserem Mund, von denen wir dachten, wir würden sie nie sagen. „Lass Deine Schwester in Ruhe, auch wenn sie angefangen hat…“ oder „Ist mir egal, ob das alle anderen so machen. Wenn die aus dem Fenster springen, springst du ja auch nicht hinterher.“

Es sind Eltern-Weisheiten, „Trümmersprüche“, wie eine Freundin sagt. Dinge, bei denen man sicher war, dass man sie nie, nie, nie so sehen, denken, sagen würde. Und genau dieses Gefühl beschleicht mich, als ich im Pressezentrum der UN-Klimakonferenz in Belém sitze und mir die Eröffnung anschaue. Es treten auf: PräsidentInnen, Premiers, MinisterInnen aus 194 Staaten. Sie sagen: Mit wenigen Ausnahmen alle das Gleiche: Wir haben in der Klimakrise ein echtes Problem, wir müssen und können handeln, wir müssen zusammenhalten und uns zusammenreißen, das wird teuer, aber es wird sich lohnen. Die meisten Reden gipfeln seit 20 Jahren in dem rhetorischen Feuerwerk: „The time to act is now!“

Ich habe mich darüber oft lustig gemacht. Auch an dieser Stelle. Aber jetzt sitze ich da, lausche in den Kopfhörer und gleichzeitig in mich hinein und merke: Ich höre den politischen Phrasen zu, ohne gleich hämisch zu grinsen. Hinter vielen abgedroschenen Redewendungen findet sich ein Sinn: Wir sind hier. Das Thema ist uns wichtig. Wir wollen es lösen und lassen nicht nach. Auf uns könnt ihr zählen.

Natürlich gibt es da viele Defizite, Halbwahrheiten, Täuschungen und Selbsttäuschungen. Aber es gibt eben auch bei vielen den Willen, das Thema ernst zu nehmen. Oder zumindest den zivilisierten Anschein zu erwecken, das zu tun. Denn inzwischen sind die Haltungen und Aktionen auf der großen Weltbühne ja ganz andere. Da ist die US-„Regierung“, die nicht nur das Thema zu Hause negiert, torpediert und gegen alle Vernunft kleinhäckselt, sondern die die Klimapolitik mit ihren Mafia-Methoden auch global zerstören will.

Sie walzen alles platt, und sind auch noch stolz drauf

Da sind Verbrecher und Autokraten in Russland, Syrien, Sudan, Gaza und anderswo, die ihre Kriege gegen Menschen und Natur führen und auch noch offen damit prahlen. Da sind Unternehmen, die endlich wieder offen und laut sagen dürfen, dass ihnen der Quartalsgewinn natürlich wichtiger ist als dieser Quatsch mit langfristiger grüner Transformation. Niemand von ihnen bemüht sich um Zurückhaltung, diplomatisches Geschickoder eine kunstvoll verschleierte Ablehnung. Sie nehmen den Bulldozer und walzen alles platt, was ihnen in den Weg kommt – und sie sind auch noch stolz darauf.

Da schwinden in meinem Kopf Ironie und Sarkasmus gegenüber dem so waaaaaahnsinnig langsam und langsam waaaaaaahnsinnig machenden UNFCCC-Prozess. Ich merke, wie sehr ich diesen Klimazirkus auf eine verzweifelte Weise zu schätzen gelernt habe – angesichts der globalen Fight Clubs, wo der Stärkere den Schwächeren einfach fertigmacht. Klar: Der Klimaprozess leidet schon immer an einer Überdosis Pathos und an verlogenem „Wir haben uns alle lieb“-Stuhlkreisdenken. Aber der Gegenentwurf, den die gewissenlosen Verbrecher an Menschen und Natur jetzt überall laut und frech verkünden, ist um Dimensionen schlimmer: menschenverachtend, zukunftsfeindlich, Dummheit in Potenz.

Ich höre die ewig gleichen Reden und denke: Moralinsauer und weltfremd ist nicht schön. Aber moralfremd und weltsauer ist noch viel schlimmer. Den Weltuntergang auf einer Klimakonferenz als rhetorische Floskel herbeizureden und in der Realität dagegen nicht genug zu tun, ist ein Versagen. Aber den Weltuntergang aktiv voranzutreiben ist ein Verbrechen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
Mehr zum Thema

0 Kommentare