: Trucker sollen künftig Fahrschein lösen
Nach dem Sieg der „Alpeninitiative“ beim Volksentscheid am Sonntag in der Schweiz besteht eine reelle Chance, daß der Lastwagenverkehr auf den Nord-Süd-Verbindungen durch das Alpenland in den nächsten zehn Jahren um die Hälfte abnimmt
Freude herrscht im Urnerland. Bis tief in die Nacht feierten die BewohnerInnen des Schweizer Kantons am Sonntag den Sieg der „Alpeninitiative“, zu dem sie mit kantonsweiten 87 Prozent Jastimmen erheblich beigetragen hatten. Sie feierten, als wäre an diesem 20. Februar 1994 der sagenumwobene Teufelsstein wieder auf die Gotthard-Autobahn zurückgerollt. Vor 800 Jahren hatte der Teufel den Fels ins Tal gestoßen aus Wut über die schlauen Urner, die ihn zum Narren gehalten hatten. Doch vor 1975 wurde das mächtige Gestein um 127 Meter versetzt, um der neuen Autobahn und damit täglich Tausenden von stinkenden und lärmenden Lastwagen Platz zu machen.
Nach dem unerwarteten Erfolg der „Alpeninitiative“, für die sich mit Ausnahme der französischsprachigen Westschweizer und Aargau 19 der 26 Kantone sowie 51,9 Prozent aller stimmberechtigten Eidgenossen aussprachen, wird die Gotthard-Autobahn zwar nicht wieder verschwinden. Doch besteht jetzt die Chance, daß der Lastwagenverkehr zumindest auf dieser und anderen Nord-Süd- Transitverbindungen in den nächsten zehn Jahren um die Hälfte abnimmt. Vielleicht – falls die Europäische Union (EU) mitmacht, anstatt die Schweiz weiter zur Anpassung an die eigene umweltfeindliche Verkehrspolitik zu nötigen – auch auf weiteren Transitstraßen nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Österreich und Frankreich.
Ein umweltpolitisches Signal für Europa zu setzen war die Absicht der Initiative. Die Mehrheit der StimmbürgerInnen hatte das begriffen. Deswegen verfing auch die von Verkehrsminister Adolf Ogi geführte Ablehnungskampagne der Berner Regierung nicht, die der Initiative Europafeindlichkeit vorwarf und das Stimmvolk mit düsteren Drohungen vor Vergeltungsmaßnahmen der Europäischen Union einzuschüchtern suchte. Zumal Ogi sich zunehmend in fragwürdige Argumentationen und Widersprüche verstrickte. Seine Behauptung, schon heute würden 90 Prozent aller Güter in der Schweiz über die Schiene transportiert, konnte die Initiative widerlegen. Tatsächlich verliert die Bahn beim Gütertransport – wie überall in der Europäischen Union – wegen der Kostenbevorteilung des Lkw-Transports weiterhin Marktanteile an die Straße.
Die Warnung vor Brüsseler Gegenmaßnahmen verfing aus zwei Gründen nicht: Zum einen ist es die EU, die seit geraumer Zeit den erst im letzten Jahr mit Bern geschlossenen bilateralen Verkehrsvertrag mit immer neuen Forderungen nach Lockerung des Schweizer Fahrverbots für Lkws in der Nacht und an Sonntagen oder der Beschränkungen für 40-Tonner auszuhöhlen sucht. Zum anderen soll die vollständige Verlagerung des Transitverkehrs von der Straße auf die Schiene erst im Februar 2004 stattfinden, zehn Monate bevor das bilaterale Transitabkommen mit Brüssel ohnehin ausläuft.
Völlig unhaltbar war der Regierungsvorwurf des Dirigismus an die Initiative. Denn die Mittel, mit denen die Verkehrsverlagerung erreicht werden soll, wurden im Abstimmungstext ganz bewußt offen gelassen. Nach Auffassung der Mitglieder der Initiative läßt sich die Verkehrsumlagerung durchaus durch Marktinstrumente erreichen – das heißt durch Herstellung von Kostenwahrheit beim Lkw-Verkehr.
Um den gewünschten Effekt zu erzielen, müßte die Verteuerung des Straßengüterverkehrs allerdings sehr viel höher ausfallen, als die Regierung dieses mit ihren am Sonntag ebenfalls von den StimmbürgerInnen angenommenen Beschlußvorlagen über Schwerverkehrsabgaben plant. Die erste Vorlage verlängert die vor zehn Jahren versuchsweise eingeführte pauschale, lediglich vom Lkw-Gewicht abhängige Abgabepflicht um weitere zehn Jahre. Mit der zweiten Vorlage wurde für die Zeit ab 2005 eine von Treibstoffverbrauch und in der Schweiz gefahrenen Kilometern abhängige Lkw-Abgabe eingeführt. Unter dem Strich bedeuten diese beiden Abgaben jedoch eine Verteuerung des Lkw- Verkehrs um lediglich wenige Prozentpunkte. Beide Abgaben gelten übrigens für Schweizer wie für ausländische Lkws, ebenso wie die am Sonntag ebenfalls beschlossene Erhöhung der Autobahn-Vignettengebühr für Pkws von jährlich 30 auf 40 Franken für In- und Ausländer gilt.
Die Schweizer StimmbürgerInnen am meisten überzeugt haben dürfte das Argument der Initiative, ohne verschärfte Maßnahmen zur Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene werde das NEAT-Projekt – der Bau zweier Eisenbahntunnel für den Huckepack- und Containerverkehr durch den Gotthard und den Lötschberg – zum gigantischen, kostenträchtigen Flop für die Schweizer Bundesbahnen und die öffentlichen Kassen. Die Planungskosten dieses besonders von Verkehrsminister Ogi vorangetriebenen Projekts belaufen sich immerhin bereits auf über 15 Milliarden Schweizer Franken. Diese Ausgaben rentieren sich nur, wenn die beiden Alpentransversalen nach ihrer Fertigstellung zwischen 2005 und 2010 auch voll ausgelastet werden.
Mit welchen nationalen Maßnahmen und internationalen Verträgen dies sicherzustellen ist – um diese Frage dürften sich in den nächsten Jahren die verkehrspolitischen Debatten in der Schweiz vorrangig bewegen. Verkehrsminister Ogi, der die „Alpeninitiative“ zunächst heftig bekämpft hat, aber das Ergebnis der Abstimmung jetzt „voll akzeptiert“, hat für seine nächste Verhandlungsrunde mit der EU am 14. März zunächst einmal eine Rückenstärkung erfahren. Und die ersten Reaktionen aus Österreich, wo Ogis Amtskollege Klima am Sonntag abend von einem „umweltpolitischen Signal der Schweiz“ sprach, an dem sich Wien orientieren müsse, lassen möglich erscheinen, daß die bisherige EU-Strategie, die beiden Alpenrepubliken auseinanderzudividieren, letzten Endes doch nicht aufgehen wird. Andreas Zumach, Genf
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