■ Das Holocaust-Denkmal und Kohls ästhetisches Feingefühl: Trickreiches Doublebind
Es gehört zu den Filigrantechniken Kohlscher Politik, zum falschen Zeitpunkt und am falschen Ort Falsches zu sagen. Nur mit Schwermut sei an die plumpen Auftritte in Bitburg und Tel Aviv in den achtziger Jahren erinnert, wo Kohl mit der Nazivergangenheit und der spezifischen Scham über die deutsche Geschichte abgerechnet hat. Eine andere Qualität des Kanzlers ist, zur falschen Zeit trickreich Richtiges mit hinterhältiger Absicht herauszuposaunen. Durchgeschlagen ist diese Art von taktischem Doublebind im Falle des geplanten Holocaust-Denkmals, dessen mächtige Kubatur Kohl drei Tage nach der Entscheidung als „zu gigantisch“ abtat und dies mit schalen Argumenten unterfütterte, die monströse Grabplatte passe weder ins Stadtbild, noch habe eine öffentliche Debatte über die ästhetische Gestaltung stattgefunden.
Niemand hat Kohl gehindert, früher in die Diskussion einzusteigen. Auch das ästhetische Feingefühl des Kanzlers kann es nicht gewesen sein, die überdimensionierte Platte abzulehnen, ließ er doch die Kollwitz-Pièta in der Neuen Wache sorglos auf das Zwanzigfache aufblasen. Und selbst der Berliner Stadtgrundriß war ihm bislang schietegal.
Kohl hat vielmehr mit populistischem Gespür – gemeinsam mit Parteifreund Eberhard Diepgen übrigens – und im Kleid der öffentlichen Meinung den alten Suppentopf aufgemacht, in dem die ablehnende Haltung gegenüber „Juden-Denkmälern“ und die „Unfähigkeit zu trauern“ schwimmt. Nur so ist jetzt die Sorge von Ignatz Bubis zu verstehen, daß „aus der Diskussion eine Nichtrealisierung entsteht“. Das gilt um so mehr, als Diepgen gestern noch eins drauflegte, indem er davon sprach, „man hätte alle Zeit der Welt“, das Denkmal zu errichten. Daß Kohl sich bei seiner Ablehnung dabei noch auf Zweifel gegenüber dem Grabplatten-Entwurf von Bubis selbst beruft, ist doppelt fies. Hatte der doch wahrlich Gründe, Form, Funktion und Finanzierung des Mahnmals zu hinterfragen.
Es kann keine Frage sein, daß ein zentrales Denkmal für die Opfer des Holocaust errichtet werden muß. Diese Botschaft kam nicht über Kohls Lippen. Statt Konsens einzufordern, spaltet er. Mitschuld an dem Gezänk um die Realisierung tragen indessen nicht die Künstlerin und ihr Entwurf, sondern die herrischen Begehrlichkeiten der Denkmals-Initiatoren (allen voran Lea Rosh), ohne öffentlichen Diskurs, ohne Respekt vor den anderen Opfergruppen des Naziterrors und ohne Gefühl für die Gestaltung eines derartigen Unternehmens das Thema quasi zu erledigen. Ein solches Thema erledigt sich nicht. Erst recht nicht, will man es austricksen. Rolf Lautenschläger
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