: Trend setzt sich fort
■ Infas-Analyse zur Wahl in Berlin/ Große müssen bluten
Bonn (dpa) — Die Berliner Kommunalwahlen am vergangenen Sonntag waren von einer deutlichen Absage an die beiden großen Volksparteien SPD und CDU, die seit der Abgeordnetenhauswahl vom 2. Dezember 1990 in großer Koalition regieren, gekennzeichnet. „Hatten vor eineinhalb Jahren CDU und SPD gemeinsam noch 70,8 Prozent der gültigen Stimmen in der ganzen Stadt erhalten (78,5 Prozent im Westen, 57,1 Prozent im Osten), so waren es nun nur noch 59,3 Prozent. Im Durchschnitt der letzten — noch getrennt und zu verschiedenen Zeitpunkten (Januar 1989 im Westteil, Mai 1990 im Ostteil) abgehaltenen — Bezirkswahlen hatten sich noch 65,8 Prozent der Wähler für CDU und SPD entschieden.
Die Dramatik des Vertrauensverlustes der beiden Volksparteien wird allerdings so recht erst deutlich, wenn die 1992 auf 61,2 Prozent abgesunkene Wahlbeteiligung berücksichtigt wird: Die „Partei der Nichtwähler“ nicht nur stärkste „politische Kraft“ in der Hauptstadt, sie hat auch die beiden Parteien der Großen Koalition überrundet: Fast eine Million der über 2,5 Millionen Wahlberechtigten blieb den Wahlurnen fern, nur knapp 900.000 von den abgegebenen Stimmen (36 Prozent aller Wahlberechtigten) entfielen auf CDU und SPD zusammen. Im Osten der Stadt waren es bei über 410.000 Nichtwählern gar nur gut 250.000 Voten für die Parteien der Senatskoalition. Die von rund zwei Dritteln der Bevölkerung in West wie Ost vor der Wahl geäußerte Unzufriedenheit mit der Arbeit des Senats entlud sich in den östlichen Bezirken stärker in Wahlenthaltung als im Westteil, mit 57,4 Prozent lag die Wahlbeteiligung um sechs Prozentpunkte unter der in den Westbezirken (63,5 Prozent).
Soweit sich die oppositionelle Stimmung nicht in Wahlabstinenz ausdrückte, fand sie vielfältige Ventile bei den kleinen Parteien: Weniger bei der FDP, die zwar ihre schwache Position der letzten Bezirkswahlen verbesserte, gegenüber der Abgeordnetenhauswahl jedoch über zwei Prozentpunkte einbüßte und damit nicht von der Opposition gegen die Große Koalition in Berlin profitierte. Verstärkten Zulauf erhielten dagegen die „Republikaner“ (8,3 Prozent), Grüne/AL (8,8 Prozent) und die Gruppierungen des Bündnis 90 (zusammen 4,5 Prozent) sowie die PDS (11,3 Prozent).
Die Palette des Parteienangebotes war vielfältig, wenn auch nicht flächendeckend. Indiz für die Unzufriedenheit mit der Regierung mag sein, daß Splitterparteien und Wählergruppen punktuell achtbare Ergebnisse erzielten, allen voran die lokalpolitisch schon etablierte WUB Zehlendorf (17,7 Prozent: plus 2,6 Prozentpunkte), aber auch die Grauen mit Anteilen zwischen 2 und 3 Prozent. Im Unterschied zu CDU und SPD — so die Infas-Wanderungsbilanz — hatten diese Parteien gegenüber der letzten Abgeordnetenhauswahl nur geringe Mobilisierungsverluste (wie die PDS) oder konnten — wie Ökologen, Bürgerrechtler und „Republikaner“ — Gewinne aus dem damaligen Nichtwählerlager erzielen.
Von den über 500.000 zusätzlichen Nichtwählern im Vergleich zum 2. Dezember 1990 kamen rund 60 Prozent von der CDU, fast ein Drittel waren zuvor SPD-Wähler gewesen. Die PDS erweist sich dabei als ein nahezu konstanter politischer Faktor in den östlichen Bezirken der Hauptstadt, sie konnte dort fast ebenso viele Stimmen mobilisieren (rund 163.000) wie vor eineinhalb Jahren (171.000).
Die „Republikaner“ haben im Osten wie im Westen der Stadt ihre Wählerzahl gegenüber der Abgeordnetenhauswahl jeweils verdoppelt, in West-Berlin dabei geringfügig mehr Stimmen (96.000) erreicht als bei ihrem ersten großen Erfolg von 1989 (90.000). Ihre Zuwächse verdankt die Schönhuber- Partei neben der Mobilisierung von Nichtwählern Abwanderungen von CDU und SPD im Verhältnis von etwa zwei zu eins.
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