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Trauerfeier für Gisela MeyerAbschied einer Diva

Gisela Meyer aus den Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel wurde durch Blaumeier zum Star und blieb das bis zu ihrem Tod. Zum Abschied ein Auszug aus einer Autobiographie.

Gekrönt: Gisela Meyer in "Sissi in Nöten". Bild: Michael Eisenbeiß

Können wir jetzt anfangen? Gut. Ich bin vor 50 Jahren nach Bremen gekommen. 1985 gab es die „Blaue Karawane“ nach Triest. Danach hab’ ich eine Frau getroffen, die ging nach Blaumeier, da hab ich mir das angeguckt.

Ich hab’ gesungen, wenn irgendwas zu singen war. Zum Beispiel aus dem Radio. Nach zwei, drei Mal Hören kann ich das. Ich lerne auch keine Rollen auswendig, das geht so. Bei „Die Beerdigung der Sardine“ war ich der Teufel, das war eine Charakterrolle! Dann kam „Sissi in Nöten“, da werde ich ermordet, und dazwischen war der Bahnhof [„Schwesterchen, was machst Du, weinst Du oder lachst Du?“ im Bremer Hauptbahnhof vor über 1.000 BesucherInnen]. Ich war Frieda, die ihre Freundin nach Übersee verabschiedet, und hatte nur drei Minuten für den Wecker in der Handtasche. Und dann: „Olé!“ Da gab es auch wieder großen Applaus.

Jede Aufführung ist ja anders, zum Beispiel, wenn jemand mal auf’s Klo muss. Was mir an Blaumeier gefällt? Da werde ich so aufgenommen, wie ich bin. Da sagt keiner, geh nicht so krumm, halt dich gerade. Früher habe ich im Waschhaus in Bethel gearbeitet, da mussten wir sonntags in die Kirche, da hab ich dann gesungen. Aber danach nie wieder – bis Blaumeier kam.

Atelier statt Anstalt

Von 80 Lebensjahren verbrachte Gisela Meyer, deren autobiographischen Text wir hier in Auszügen dokumentieren, 26 mit dem Blaumeier-Atelier. Bei fast allen großen Produktionen war sie dabei: Ihre Geschichte ist auch die des Ateliers seit dessen Ursprung bei der antipsychiatrischen "Blauen Karawane". Obwohl beinahe erblindet, kam Gisela Meyer bis zuletzt zu den Proben des "Chor Don Bleu".

Vor einem Jahr heiratete sie mit Pomp, Witz und langem weißen Rüschenkleid ihren Mitbewohner Ernst Gabriel aus dem gemeinsamen Arstener Wohn und Pflegeheim. Statt Ringtausch gab es eine gemeinsame Zigarette samt grandiosem Gesangs-Duett. Auch in Bezug auf ihre Beerdigungs-Zeremonie hatte Gisela genaue Vorstellungen: Sie will in ihrem roten Diva-Kleid samt Federboa bestattet werden.

Bei der „Karawane“ war ich noch nicht so selbständig. Da hatte ich immer Angst und bin nur so weit weg gegangen, wie ich die Musik noch gehört habe. Jetzt finde ich es gut, wenn ich alleine spiele – dann kann ich am besten improvisieren und aus mir rauskommen. „Chanella“ zum Beispiel, das hab ich allein mit Walter Koch gemacht, wir haben es zusammen erfunden. Als wir „Chanella“ mal in Osterholz gespielt haben, musste ich laut Drehbuch sieben Schritte rückwärts gehen: Das war ein Schritt zu viel und ich bin von der Bühne gefallen. Da sagte Walter: „Sei froh, dass du dir nicht die Schnauze gebrochen hast.“

Film ist nicht, Theater ist besser. Da muss man nicht so lange warten, bis man an die Reihe kommt. Am liebsten war mir das Bahnhofsstück, warum, weiß ich auch nicht. Vielleicht, weil da die meisten Menschen dabei waren. Da war meine Drei-Minuten-Rolle eine Hauptrolle. Dann war noch „Im Feuer der roten Laterne“ und „Hereinspaziert“, das hab ich selbst geschrieben. Vor ein paar Tagen hat jemand gesagt: „Sie sind eine tolle Frau.“ Das ging runter wie Öl. Die hatte das Stück geguckt und hat geheult.

Was ich mir wünsche? Dass ich mit dem Rauchen aufhören kann. Ich habe ja nur 86 Euro im Monat. Und für Blaumeier? Das hat sich gefestigt. Das ist mehr eine Familie geworden. Es sind auch welche weggegangen, weil sie sich zu alt fühlten. Einige sind gestorben. Aber ich finde es gut, dass alle so zusammenhalten – und dass sie mich so mögen, wie ich bin.

Mit dem Namen? Mit dem Namen habe ich nichts zu tun, sonst würde man Blaumeier ja mit „ey“ schreiben. Also, das war eine Annemarie Meier, die das vorgeschlagen hat. Das war, als Blaumeier noch im „Schlachthof“ war – und ich nur zu Besuch hingegangen bin. In der Zeit war ich auch nicht so weit, ich musste ja erst mal reinschnuppern. Jetzt kann ich sagen: Trau’n tu ich mich alles.

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