piwik no script img

■ Vom Sommer und seinen PropagandistenTrauer um Tief Imke

Vom Wetter, meldete das ZDF am Mittwoch abend, komme jetzt „endlich mal was Positives“ – das Tief Imke sei auf dem Rückzug, und die Sonne werde sich bald wieder zeigen, wenn auch erst einmal nur „verschämt“.

Je unverschämter sich die Sonne zeigt, desto unverschämter zeigen sich allerdings auch die Deutschen. Sie werfen sofort alles von sich; ihre Jacken, ihre Blusen, ihre Leibchen, ihre Manieren und ihre Bedenken, und dann streben sie halbnackt hinaus, in den Vorgarten, auf den Balkon, in die Garageneinfahrt, ins Grüne oder mitten in die Stadt, um sich unter andere Halbnackte zu mischen. Als es um Ostern herum schon einmal bedenklich warm geworden war, drangen Familienväter, nur noch von Sonnencreme und getrocknetem Schweiß zusammengehalten, mit schwappendem, entblößtem Kugelblähbauch in die Supermärkte ein, auf Gummischlappen und in kurzen Hosen mit Karibikmotiven. Selbst in Bahnabteilen zeigten hirntote Herren extrem viel Bein und Beinhaargewölle, desgleichen jede Menge ungepflegter Füße, Brüste und Achselhöhlen. Vor dem Tief Imke sind die Exhibitionisten wieder hinter die spanische Wand geflüchtet, aber was soll werden, wenn jetzt doch noch der Sommer kommt?

Geht es im Fernsehen um die Wetteraussichten – und im milden Frühsommer 1996 geht es im Fernsehen noch öfter als sonst um die Wetteraussichten – werden die Zeigefreudigen niemals ermahnt oder auch nur sanft zur Kleiderordnung gerufen. Im Gegenteil, auf allen Kanälen wird ein Feuerwerk der Sommerpropaganda entfacht und vorausgesetzt, daß sämtliche Zuschauer Hitzefreaks und Hochdrucknarren seien, die es kaum noch erwarten können, endlich wieder in schmutziger Unterwäsche auf die Straße zu rennen.

Einst wurde man in den Wetternachrichten von einer amtlich klingenden Stimme aus dem Off knapp und neutral über böig auffrischende Winde und die zu erwartenden Tageshöchsttemperaturen informiert, dazu ein paar unverständliche Grafikelemente, dann war Schluß. Heute benehmen sich die Fernsehwetterfrösche wie beschwipste Animateure aus dem Robinson-Club. Sie schneiden Grimassen, erzählen Witze, flechten Anekdötchen in den Vortrag ein und hüpfen von einem Bein aufs andere. Wenn sie einen Temperaturrückgang um anderthalb Grad melden müssen, zucken sie betrübt mit den Schultern und blicken dackelhaft unterwürfig in die Kamera. Wird es aber scheußlich heiß, schnappen sie vor Glück fast über.

Das Quecksilber klettere jetzt langsam wieder, frohlockte vorgestern die Wetterfröschin von Pro 7, und RTL interviewte einen dicken, nackten Übelmann, der sich am Mittelmeerstrand wälzte und fröhlich kundtat, er habe kein Mitleid mit den Daheimgebliebenen. „Was glauben Sie, wo Ulrike von der Groeben und ich jetzt gerne wären!“ rief daraufhin der Moderator aus und gackerte gemeinsam mit Ulrike von der Groeben, die neben ihm saß und so tat, als würde sie sich jetzt am liebsten splitternackt im heißen Schmutz kugeln.

Daß es Zuschauer geben könnte, die sich vor dem Sommer ekeln und erst recht vor deutschen Sommerfrischlern, daß sich möglicherweise der eine oder andere Zuschauer sogar zum Herbst mit seinen entzückenden Brisen und seinem wampen- und hornhautzeigefeindlichen Mantelwetter hingezogen fühlen könnte, wird nicht berücksichtigt, niemals erwogen, nicht einmal zögerlich und schamhaft angedacht.

Bald werden sie wieder in die Parkanlagen watscheln, mit Kofferradios und Sixpacks bewaffnet, sich die Wäsche vom Leib reißen, die Primaten, aufgehetzt von Ulrike von der Groeben und ihresgleichen. In überfüllten Bussen werden einem schwitzende, unzureichend bekleidete Großmütter ihre Strandmattenbündel in die Rippen rammen. Kleinkinder werden auf kochend heißem Straßenteer stehen und brüllen. Eissorten mit widerwärtigen Namen („Nogger-Plus“) werden auf den Bürgersteig geschmiert. In Frankfurt am Main, in der Titanic-Redaktion, Deutschlands heißestem Arbeitsplatz, werden Redakteure im Adamskostüm die Ventilatoren wieder auf Stufe 5 stellen, damit sie den Brodem schneller umrühren. Hunde werden platzen, Greise werden verdorren, und in der Fußgängerzone werden betrunkene Rekruten prall gespannte T-Shirts mit der Aufschrift „Sumsen ist buper!“ spazierentragen.

Sie nennen es Sommer. So ist es jedesmal; so wird es auch diesmal sein.

Vielleicht in der übernächsten, vielleicht auch schon in der nächsten Saison werden die Hitzefetischisten Dödel, Dörrfleisch und Rosette auch in Eisdielen und Bankschalterhallen präsentieren, unter dem Jubel von Ulrich Meyer und Ulrike von der Groeben. Es wird fürchterlich.

Tief Imke, komm zurück! Gerhard Henschel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen