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Transparenz per Richtmikrophon

Unerwünscht ist laut SPD-Bundesgeschäftsführer Günter Verheugen nur mehr der Begriff; ihren Positionswechsel in der Frage des „Großen Lauschangriffs“ verkauft die SPD-Spitze mit den hohen „rechtsstaatlichen Anforderungen“, die an den Eingriff in die Privatsphäre gestellt werden sollen.

Was bedeutet die vom SPD-Präsidium beschlossene Zulassung des „Großen Lauschangriffs“? Erst einmal verwahrt sich der neue SPD-Bundesgeschäftsführer Günter Verheugen gegen die Begrifflichkeit. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte er: „Ich möchte zunächst einmal darauf hinweisen, daß der Begriff Großer Lauschangriff in einem demokratischen Rechtsstaat auf die Liste der absolut unerwünschten Worte gehört. Ein Rechtsstaat greift nicht an.“

Wie dem auch sei, mit dem Beschluß sollen die ermittelnden Behörden künftig bis tief in die Privatsphäre der Bürger vordringen können. Die „Unverletzlichkeit der Wohnung“, bislang durch Artikel 13 des Grundgesetztes gewährleistet, würde teilweise kippen. Mit den Mitteln des Abhörens dürfte künftig – sollte der letztenscheidende Bundesparteitag der SPD im November in Wiesbaden zustimmen – das privat gesprochene Wort belauscht werden. Was bislang nur durch die Telefonüberwachung möglich war, wäre künftig auch durch Richtmikrophone, Wanzen und ähnliches erlaubt.

Noch kurz vor seiner Wahl zum SPD-Vorsitzenden hat Rudolf Scharping wiederholt betont: Ich traue einem deutschen Richter die Unterscheidung zwischen einem Schlafzimmer und dem Hinterzimmer eines Bordells zu. Diese Unterscheidungsgabe ist nun obsolet. Nach dem SPD-Präsidiums- Beschluß darf sowohl das Bordellhinterzimmer als auch das Schlafzimmer belauscht werden, allerdings unter bestimmten Auflagen.

Den Positionswechsel in der SPD moderieren die Genossen mit den hohen „rechtsstaatlichen Anforderungen“, die an den Eingriff in die Privatsphäre gestellt werden: Der Eingriff muß von mehreren Richtern, einem „Kollegialgericht“, entschieden werden. Es muß sichergestellt sein, daß andere Fahndungsmethoden nicht erfolgreich waren oder keinen Erfolg versprechen. Schließlich muß die Maßnahme, nachdem sie abgeschlossen ist, veröffentlicht werden. Diese als Kontrollmechanismen verstandenen Präzisierungen nennt Verheugen „Grundrechtsschutz durch Öffentlichkeit“, die dazu führen würden, daß die Maßnahmen auf eine relativ geringe Zahl reduziert werden würden.

Sowohl die Bedingungen, unter denen das Abhören nach dem Willen der SPD künftig erlaubt sein soll, als auch die Einschätzung, daß es nur wenige Fälle geben werde, sind den Amerikanern abgeschaut. In einem Spiegel-Artikel vor einem Monat wurden diese von dem Kriminologen Christian Pfeiffer vorgestellt. In den USA, wo grundsätzlich der Richter für die Abhörmaßnahme verantwortlich ist, gab es in den letzten drei Jahren lediglich 98 Fälle, in denen Privaträume belauscht wurden. Das liege, so der Kriminologe, vor allem auch daran, daß Richter und Staatsanwälte durch die auferlegten Kontrollmechanismen permanent dafür „sensibilisiert“ würden, „daß mit jedem Lauschangriff zwangsläufig die Verletzung der Intimsphäre einer großen Zahl unbeteiligter Personen verbunden ist“. In den USA wurden im Jahr 1990 918 genehmigte Abhörmaßnahmen durchgeführt (diese Zahl enthält alle Abhörmaßnahmen, nicht nur jene, die auf die Privatwohnung zielten). Bei diesen 918 Eingriffen wurden insgesamt 109.136 Personen erfaßt, von denen lediglich 3.278 Personen verhaftet und nur 1.477 verurteilt wurden.

Ist demnach der neue Slogan „Grundrechtsschutz durch Öffentlichkeit“ plausibel? Nicht unbedingt. Allein die Veröffentlichung von Zahlen vermag nicht viel auszurichten. Wichtig wäre vielmehr die Eigenverantwortlichkeit der entscheidenden Richter. Davon allerdings ist in dem SPD-Entwurf bislang nicht die Rede. Die kleine Änderung, daß anstelle von einem Amtsrichter – wie es bei der Telefonüberwachung bislang der Fall ist – nun drei Landgerichtsrichter den Eingriff zu genehmigen hätten, ändert nichts. Wie bisher auch müßten diese sich auf die Angaben der Staatsanwaltschaft stützen und auch alles weitere in deren Hände geben. Julia Albrecht, Bonn

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