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Archiv-Artikel

Tränen, Dollars, Oscars

Er drehte TV-Serien und stand jahrzehntelang für spannende Kino-Unterhaltung: Am Montag starb der amerikanische Regisseur und Schauspieler Sydney Pollack. Mit Filmen wie der Komödie „Tootsie“ oder dem Thriller „Die drei Tage des Condor“ bewies er, wie intelligent Mainstream eben auch sein kann

VON EKKEHARD KNOERER

Das Werk, das ihn zurück zu seinen Wurzeln als Fernsehregisseur geführt hätte, hat Sydney Pollack nicht mehr drehen können. Am vergangenen Sonntag war im amerikanischen Pay-TV-Sender „HBO“ der viel beachtete Film „Recount“ zu sehen, eine engagierte Auseinandersetzung mit dem Skandal um die Stimmenauszählung in Florida bei den US-Präsidentschaftswahlen des Jahres 2000.

Seine Regieführung hatte Pollack dafür bereits vertraglich gesichert, musste jedoch, als er im letzten Jahr von seiner Krebserkrankung erfuhr, davon zurücktreten. Auch am Anfang von Sydney Pollacks Filmografie stehen einzelne Folgen heute vergessener TV-Serien und zwei Episoden von „The Alfred Hitchcock Hours“.

Als Sohn russischer Einwanderer wurde er 1934 in Indiana, im konservativen Mittleren Westen der USA geboren. In der Schule entdeckte er die Liebe zur Schauspielerei, ging nach New York auf die renommierte Schauspielschule „Neighborhood Playhouse“, spielte ein paar Rollen am Broadway und lernte dann sein Handwerk als Regisseur beim Fernsehen. Seinen ersten Spielfilm, das Selbstmorddrama „The Slender Thread“ (1965) mit Anne Bancroft und Sidney Poitier, fand er selbst später „furchtbar“.

Vier Jahre darauf entsteht das erste Meisterwerk, „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“. Der gnadenlose und eben darum grandiose Film mit Jane Fonda ist angesiedelt in der Ära der Weltwirtschaftskrise und erzählt von verzweifelten Menschen, Teilnehmern an einem Marathontanzwettbewerb. Sie tanzen, tagelang, bis zur Erschöpfung und bis zum Tode, und die Kamera macht alles, nicht zuletzt die zermürbenden Tempowechsel, immer mit.

Sydney Pollack war – und blieb – der Regisseur eines gemäßigten „New Hollywood“. Kein „Auteur“, keiner, der seine eigenen Drehbücher schrieb, aber ein brillanter Handwerker mit Sinn für Spannung und zugleich für Subtilität, vergleichbar mit John Frankenheimer („Botschafter der Angst“) oder Norman Jewison („Thomas Crown ist nicht zu fassen“), die beide ebenfalls vom Fernsehen kamen. Pollack war einer, der immer mit den wichtigen Stars arbeitete, der das große, das ganze Publikum wollte, aber trotzdem eher in Richtung Kunst als Popcorn zielte.

Er liebte die Arbeit in Genres und respektierte deren Vorschriften und Regeln, nutzte sie aber, um ambivalente Geschichten zu erzählen und komplexe Charakterbilder zu entwerfen. All das gelang ihm unzweifelhaft in seinen besten Filmen der 70er-Jahre, im meditativen Western „Jeremiah Johnson“ ebenso wie im Thriller „Die drei Tage des Condor“, beide mit Robert Redford, der dann später als Regisseur in ziemlich genau derselben Liga spielte wie Pollack.

Die große Zeit dieses amerikanischen Kinos der Qualität war mit den 70ern eigentlich vorbei. Dennoch folgten erst im Jahrzehnt danach zwei von Pollacks größten Erfolgen. Zum einen seine einzige Komödie, das Verkleidungsstück „Tootsie“ (1982), der zum Publikumshit wurde und auch deshalb in Erinnerung blieb, weil zwischen dem Regisseur und seinem Hauptdarsteller Dustin Hoffman während der Dreharbeiten die Fetzen flogen. In „Tootsie“ trat Pollack übrigens auch das erste Mal nach mehr als 20 Jahren Pause wieder als Schauspieler in Erscheinung – es folgten weitere, durchaus beachtete Rollen unter anderem in Woody Allens „Ehemänner und Ehefrauen“ und Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut“.

Und dann kam 1985 „Jenseits von Afrika“, das große Liebesmelodram mit Robert Redford und Meryl Streep, gewiss nicht Pollacks stärkster Film, aber einer, der jede Menge Afrikasehnsucht, Tränen, Dollars und Oscars – darunter für den besten Film und die beste Regie – produzierte.

Im Jahr darauf gründete der Regisseur seine eigene Produktionsfirma Mirage. Der nächste Film „Havanna“ wurde 1990 ein böser Flop, und Pollack hatte seitdem vor allem Erfolge als Produzent – zuletzt mit dem George-Clooney-Vehikel „Michael Clayton“. Immerhin war sein letzter eigener Spielfilm „Die Dolmetscherin“ (2005) mit Nicole Kidman noch einmal ein echter Pollack, handwerklich gekonnter und intelligenter Genre-Mainstream.

Es gelang dem Regisseur, was zuvor nicht einmal Hitchcock durfte: Die UN ließ ihn in ihrem New Yorker Hauptgebäude drehen. Ein Publikumserfolg wurde der Film leider trotzdem nicht. Der uneitle Regisseur, als Person von jedermann geschätzt und in Hollywood längst als Elder Statesman anerkannt, wusste, dass die Art, wie er Filme machte, inzwischen als altmodisch galt.

„Heutzutage musst du ganz schnell die Pistole ins Spiel bringen oder deine Figuren möglichst rasch ausziehen“, hat er in einem jüngeren Interview gesagt. Dergleichen lag dem am Montag im Alter von 73 Jahren verstorbenen Sydney Pollack bis zuletzt fern.