■ Was die Japaner außer der Viertagewoche noch tun: Toyota grüßt Volkswagen
Die Einführung der Viertagewoche bei VW wird in Deutschland als wirtschafts- und sozialpolitischer Durchbruch gefeiert. Unter dem Dach der schärfsten Konkurrenten von VW, bei Toyota oder Nissan in Japan, aber versteht man von den deutschen Verhältnissen ab heute nur noch weniger. Zwar handeln Volkswagen und die IG Metall ganz im Sinne der auf die Betriebsgewerkschaften gestützten japanischen Tarifpolitik, wenn in Wolfsburg wie zuletzt bei Nissan auf Firmenebene ein unabhängiges und eigenwilliges Krisenkonzept zwischen Management und Angestellten vereinbart wird. Doch die Formel „weniger arbeiten und verdienen“ als neue deutsche Erfolgslösung im internationalen Wettbewerb anzubieten würde gerade den Herausforderungen aus dem Fernen Osten nicht gerecht werden.
Die deutsche Krise steckt in den Köpfen. Wenn auch um vieles verspätet, hat sich in diesem Jahr in deutschen Unternehmen die Erkenntnis durchgesetzt, daß der internationalen Erosion deutscher Marktpositionen nicht allein durch ein „billiger produzieren“ begegnet werden kann. Der Anstoß für die Infragestellung alter Betriebshierarchien, übertriebener Arbeitsteilung und unnützer Managementfunktionen kam zweifellos aus Japan, das für die neunziger Jahre mit dem Begriff der „lean production“ bisher die einzig erfolgreiche, wenngleich vage Formel für die Neuorganisation der Unternehmen lieferte. Gerade die deutschen Gewerkschaften aber haben erst vor kurzem mit ihrer Interpretation der japanischen Ideen begonnen. Die Viertagewoche hätte insofern eine verheerende und destruktive Wirkung, wenn sie das unter den deutschen Arbeitern gerade erst erwachte Interesse für Gruppenarbeit und andere Exotismen erneut abwürgen und die Auseinandersetzung mit der östlichen Form des Kapitalismus schlechthin verzögern würde. Schließlich gehören Arbeitszeitverkürzungen genauso wie Lohnerhöhungen seit 1945 zum traditionellen Inventar deutscher Tarifpolitik. Nicht dazu aber gehört das Bottum-up-Prinzip japanischer Betriebe, also die von unten nach oben organisierte Entscheidungsfindung.
Ebenso fremd für die deutsche Krisendebatte klingt die kollektive Bereitschaft des japanischen Spitzenmanagements zur Kürzung der eigenen Gehälter. Alle Manager der an der Tokioter Börse notierten Firmen ab dem Abteilungsleiter haben 1993 ihre Bezüge um durchschnittlich 15 Prozent freiwillig gekürzt. Nur weil sie selbst immer höheren Lohn fordern, drängen deutsche Gewerkschafter nicht längst darauf, daß Piäch und Reuter es ihren viel erfolgreicheren Kollegen bei Toyota und Nissan gleichtun. Daran aber geht kein Weg vorbei: Deutsche Arbeiter und deutsche Manager müssen einen neuen Arbeitskonsens finden. Bei der Viertagewoche darf das Umdenken nicht aufhören. Georg Blume, Tokio
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen