Touristische Sprachgeschichte: Wording, Branding, Blöding
Erst „malerische Städtchen“, dann „instagrammable places“: Über die Schmach, einen nie enden-wollenden Berg von Sprachmüll abzutragen. Ein Pamphlet.
U nd dabei hatten wir es doch schon so weit gebracht. Verträumte Ecken, romantische Winkel und zauberhafte Flecken verrotteten auf dem Müllhaufen der touristischen Sprachgeschichte. Wer biblische Wüsten, paradiesische Strände oder wilde Schluchten in Umlauf brachte, nachmachte oder verfälschte, fiel der allgemeinen Branchen-Ächtung anheim. Wagte jemand, von einem Ort zu schwärmen, der eine Reise wert, einen Besuch wert oder gar auf jeden Fall einen zweiten Besuch wert sei, galt er als nicht mehr satisfaktionsfähig.
Wer gar von köstlichen Spezialitäten oder landestypischen Schmankerln schwadronierte, wurde mit Entzug der Aufmerksamkeit nicht unter einem halben Jahr bestraft. Und wäre immer noch jemandem eingefallen, entspannt seine Seele baumeln zu lassen, hätte er sich genauso gut an dem Haken, an dem diese herunterhing, selbst entleiben können.
Schöne Zeiten – welcher Irrtum! Wir haben, stellen wir beschämt fest, noch eine Menge zu lernen. So schnell geben Windmacher und Wortklingelschmiede nicht auf. Wo wir vorne den Sprachmüll kübelweise hinaustrugen, kippten sie ihn hinten containerweise wieder herein. Slideshares, Screencasts und FAQ-Videos türmen sich in allen Ecken. Wie Spinnweben hängen Traffic Tools und Ad Overlays von der Decke. In den Ritzen haben sich Postings, Likes und Shares verkrochen, und unterm Bett wuseln Marketeers und SEO-Trainees umher.
Wortgerümpel allenthalben. Versenkten wir eben noch malerische Städtchen in der Tonne, feiern sie als instagrammable places fröhlich Wiederauferstehung. Kohortenspezifisches Reiseverhalten und MICE-Segmente liegen im Weg. Sind wir endlich den Urlaub für die Sinne und die Ferien vom Alltag losgeworden, fliegen sie uns plötzlich als jede Menge Must-dos und Once-in-a-lifetime-Events um die Ohren.
Am Eingang versucht gerade jemand, Slot Entrance Solutions zu installieren und schraubt eine Bestpreisklausel an. An den Wänden hängen Bilder von Fame-Tourism-Zielen und Celebrity Destinations. Overtourismus und Undertourismus stehen wie paralysierte weiße Elefanten mitten im Flur und blockieren den ungehinderten Warenverkehr – Smart Tourism wird es richten, brüllt jemand von hinten, wenn Irland erst mal mit dem Games of Thrones Tourism durch ist. Und im Nebenzimmer schwallen ein automatisierter Concierge und seine Chat-Bots-Kumpane wie blöde einer der ihren zu: Sag Alexa, was weißt du vom Emsland? Sag Alexa …
Während wir hier vorne plaudern, haben sie hinten schon wieder ganze Kisten Schrott abgeladen: Customer Journey, Content Marketing, Flugscham, Circular Economy, Storytelling, Glamping, B2B … Was für eine Arbeit!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Doku über deutsche Entertainer-Ikone
Das deutsche Trauma weggelacht
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Schwarz-Grün als Option nach der Wahl
Söder, sei still!