Tote Rinder und Fohlen: Schlammschlacht um Weideprojekt
Der Streit über eine Nabu-Rinderweide in Ostfriesland nimmt kein Ende. Dabei geht es mehr um politische Frontstellungen als um die Tierhaltung.
Nach und nach kamen immer mehr Details ans Licht: Insgesamt standen am Ende drei tote Rinder und zwei tote Konik-Fohlen auf der Liste. Der Landkreis griff durch, machte erst Auflagen, verfügte dann das Ende des Projekts. Um den genauen Ablauf und die Fristen streiten die Behörden und der Nabu seither, der Naturschutzbund hat mehrere Klagen eingereicht. Klar, dass da ein weiteres totes Tier nicht gut aussieht. Vor den Augen zweier Mitarbeiter sei das Tier auf der Weide ausgerutscht und habe sich das Genick gebrochen, sagt der Nabu. Ein bedauerlicher Unfall, das Tier sei sonst gesund gewesen. In Absprache mit dem Veterinäramt habe man den Kadaver dann ordnungsgemäß abtransportieren lassen.
Dem widerspricht die CDU-Kreistagsfraktion: Der Nabu habe mit dem sofortigen Abtransport verhindert, dass die Todesursache ermittelt werden könne, zitiert die Nord-West-Zeitung die Fraktionsvorsitzende Grietje Oldigs-Nannen. Und schiebt wenig später ein Interview mit dem Mann nach, auf dessen Darstellung das Ganze offensichtlich fußt: dem ortsansässigen Tierarzt Hansjörg Heeren, Vorsitzender und Mitbegründer des „Friesischen Verbandes für Naturschutz“.
Der Landkreis bestätigt allerdings die Version des Nabu – der Abtransport erfolgte in Abstimmung mit dem Veterinäramt, für einen Transport in die Pathologie zur weiteren Untersuchung fehlten die Kapazitäten. Die unterstellte Vertuschung gab es also nicht.
Videos verelender Kälber
Tierarzt Heeren spielt in dieser Geschichte von Anfang an eine große Rolle. Sein Verein war es, der die Zustände öffentlich machte, die Videos der verendenden Kälber an die Öffentlichkeit brachte und seither nicht müde wird, immer neue Vorwürfe nachzulegen – sei es eine mutmaßliche Wasserverschmutzung durch einen unzureichend abgedeckten Misthaufen oder eben den angeblich eiligen Abtransport eines Kadavers.
Mitglieder seines Vereins, sagte er in einem Facebook-Livestream, wohnen in der Nähe des Weideprojektes und haben offensichtlich immer ein waches Auge darauf, wer dort vorfährt, kommt oder geht.
Aus seiner grundsätzlichen Abneigung gegen den Nabu macht Heeren jedenfalls keinen Hehl. Das zeigte er zum Beispiel in seiner Rede auf der großen Anti-Wolfs-Demo in Aurich, die sein Verband organisiert hat. Ein Video davon findet sich auch auf seinem Youtube-Kanal.
Hier bringt er die traditionsbewussten, anständigen, fleißigen friesischen Bauern in Stellung gegen diese „grünen Naturexperten von außerhalb, diese grüne Nabu-Strategie, die unser schönes Land unter Kontrolle bringen wollen“, „alles gegen den Willen der Einheimischen“, und dafür sorgen, dass es immer größere Flächen gäbe, „die kein Ostfriese mehr betreten darf“. Stattdessen würden ausländische Arten eingeschleppt wie „ägyptische Wasserbüffel“. Und natürlich darf auch der Hinweis nie fehlen, dass der Nabu ja jedes Jahr x Millionen Euro an Subventionen kassiere.
Der Nabu keilt aus
Für das Weidetierprojekt habe es keine Subventionen gegeben, sagt der Nabu. Die ganzjährige Weidehaltung sei von Anfang an ein Zuschussgeschäft gewesen. Hier gibt es allerdings auch keine Wasserbüffel, nur Heckrinder und Konik-Pferde. Mit deren tierärztlicher Betreuung war bis zum Frühjahr 2023 ausgerechnet die Praxis von Heeren betraut.
Und weil der Konflikt nun längst auf so einer Ebene angekommen ist, keilt jetzt der Nabu aus: Eine Überprüfung habe ergeben, dass es unter Heeren zu schwerwiegenden Versäumnissen gekommen sei, erklärt der Nabu. Unter anderem stünden Kühe, die unter seiner Aufsicht geschlachtet worden sein sollen, quicklebendig auf der Weide. Auch bei den von ihm beaufsichtigten Blutproben der vergangenen drei Jahre sind diese überzähligen Tiere offenbar nicht aufgefallen.
Der Nabu sieht sich von Feinden umstellt: In den Akten des Landkreises fänden sich fehlerhafte Protokolle, die CDU Kreistagsfraktion und insbesondere der CDU-Landtagsabgeordnete Ulf Thiele seien mit wüsten Rücktrittsforderungen wohl ebenfalls den Einflüsterungen von interessierter Seite erlegen.
Letztlich fällt diese Kritik aber auch wieder auf den Nabu zurück: Der hinzugezogene Tierarzt war ja nicht allein verantwortlich für diese Aktionen. Immer waren auch Mitarbeiter des Nabu-Tochterunternehmens Luno und des nahe gelegenen Woldenhofs beteiligt. Bei denen soll es auch schon Abwerbeversuche gegeben haben – für den Fall, dass die Beweidung in neue Hände kommt.
Auf Überlastung zu spät reagiert
Aber der Nabu brauchte immer sehr lange, um die einzelnen Vorfälle zu rekonstruieren und aufzuklären. Er begründet das mit der ungünstigen Personalsituation, die überhaupt erst in diese Misere geführt habe. Der ehemalige Geschäftsführer hat sich aufgrund eines Burnouts zurückgezogen, weitere Mitarbeiter sollen aus anderen Gründen ausgefallen sein.
Selbst der Landkreis und Tierarzt Heeren sagen, dass es in den fünfzehn Jahren zwischen dem ersten Skandal um das Projekt im Jahr 2008 und dann 2022 keinen Grund für Beanstandungen gegeben hatte. Es geht also nicht um einen grundsätzlichen Webfehler des Konzepts – mit erfahrenen und guten Leuten ist es umsetzbar.
Aber offensichtlich hat der Nabu – so sieht es jedenfalls der Landkreis – auf die Überlastungssituation zu spät reagiert und bei dem Projekt den Überblick verloren. Auch beim Krisenmanagement sei die Kommunikation stets schwierig gewesen. Bis heute hat der Nabu keine Erklärung dafür, wieso die Herde nicht reduziert wurde, obwohl das schon 2021 vereinbart worden sein soll.
Für den Landkreis ist deshalb eine Fortführung nicht denkbar. Die Frist für die Auflösung der Herden hat er noch einmal bis Ende Oktober verlängert – weil sich dies bis Ende September tatsächlich nicht umsetzen ließ. Der Nabu hält auch das neue Datum für unrealistisch – vor allem, weil die trächtigen Tiere nicht einfach so geschossen oder umgesetzt werden könnten. Das wird nun wohl das zuständige Verwaltungsgericht klären müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“