: Tote Präsidenten unter Strom
TRIBUTALBUM Der Gitarrist Elliott Sharp hat der Blueslegende Willie Dixon ein experimentelles Denkmal gesetzt
Der New Yorker Gitarrist Elliott Sharp verstärkt auf seinem neuen Album „Electric Willie“ mit einer Schar Gleichgesinnter das Vermächtnis des Bluesmusikers und einflussreichen Songwriters Willie Dixon. Die elektrisierte Hommage verbindet die aktuelle Triebkraft von Dixons-Songs mit dem Eingeständnis an musikalische Prägungen aus früheren Jahrzehnten.
Zwar erscheint „Electric Willie“ drei Monate nachdem Dixon 95 Jahre alt geworden wäre, das Album erschöpft sich aber nicht in den Schemata herkömmlicher Tribute-Alben. Elliott Sharp, der höchst wandelbare Grenzgänger zwischen Jazz, freier Improvisation, Hardcore-Punk und Blues, schafft jedem seiner Projekte einen eigenen Rahmen, in dem es sich entfalten kann. Zuletzt bestimmte Sharp die Koordinaten seiner seit über 20 Jahren am Limit experimenteller Klangerzeugung und Kompositionsverfahren agierenden Band Carbon mit dem fabelhaften Album „Void Coordinates“ neu.
Zwischen Rock und Blues
Dem Multiinstrumentalisten hat es nun die Musik des Blues-Bassisten Willie Dixon auch deshalb angetan, weil sie als Bindeglied zwischen Blues und Rock den Bands der 1960er und 1970er Jahre entscheidende Impulse lieferte. Wer auch nur eine überschaubare Anzahl von Platten aus dieser Zeit besitzt, kann Songs von Willie Dixon nicht verfehlt haben: Sämtliche Musiker von Howlin’ Wolf bis zu den Yardbirds, von Muddy Waters zu den Rolling Stones, von Led Zeppelin bis Eric Clapton haben Songs von Dixon eingespielt.
Er selbst konnte die Früchte seiner jahrzehntelangen Arbeit erst spät ernten. Geboren in Vicksburg, Mississippi, singt Dixon als Teenager in einem lokalen Gospelchor und verarbeitet eigene Gedichte zu Songtexten. Als 21-Jähriger startet er in Chicago eine professionelle Boxkarriere. Für den Kontrabass hängt er die Boxhandschuhe schließlich an den Haken, spielt vor und nach dem Zweiten Weltkrieg in kleinen lokalen Bands, nimmt mit der eigenen Formation ein erstes Album auf. 1950 unterschreibt er beim Plattenlabel Chess und muss fortan unaufhörlich als Songlieferant, Talentsucher und namenloser Studiomusiker arbeiten. Er nimmt mit Chuck Berry, Waters, Wolf und Bo Diddley auf, die seine Songs populär machen. Der Chicago-Blues ist entstanden und Dixon eine seiner Triebfedern.
Elektrisierende Wirkung
Muddy Waters’ Album „Electric Mud“, auf dem drei Songs von Dixon vertreten sind, verursacht 1968 einen Aufstand unter Blues-Anhängern: psychedelisch (synonym verwendet für electric) anmutende Gitarrenklänge, elektrische Orgel und Freejazz-inspiriertes Saxofon katapultieren Waters mitten hinein in die musikalischen Exzesse seiner Zeit. Elliott Sharp bezieht sich darauf mit der Betitelung seines Albums, übernimmt die Besetzung mit drei Gitarren und spielt die Verzerrungen mit seiner eigenen genüsslich aus.
Achtzehn Jahre nach Dixons Tod gibt ihm Sharp auf diese Weise etwas von dem Sound zurück, den Dixon mit anstieß. Weil Sharp um die elektrisierende Wirkung der Songs weiß, hat er sie live eingespielt und später im eigenen Studio sorgfältig abgemischt. Die Sängerin Queen Esther und der Sänger Eric Mingus besorgen die Textbotschaften von „Backdoor Man“, „Pie in the Sky“, oder „Grave Digger“ mal zurückhaltend und trotzdem groovy, mal passioniert bis zum Gebrüll. An der Liebe zu „Dead Presidents“ in Form von Geldscheinen dürfte sich bis heute wenig geändert haben. Am Ende entscheidet sowieso das „Spoonful“ über Liebe oder Leid, Tod oder Streit. Dem „Same Thing“, um das sich die ganze Welt dreht, hat Dixon einen so einfachen wie unvergesslichen Geniestreich geschaffen. Sharp und seinen Mitstreitern gelingt es, die Erinnerung daran hochzuhalten.
FRANZISKA BUHRE
■ Elliott Sharp „Electric Willie“ (Yellowbird/Edel)