: Tote Hosen statt toter Schweine
1986 gründet sich die taz bremen. Da wird im Schlachthof schon sechs Jahre lang gerockt und diskutiert. Matthias Otterstedt, seit 1984 dabei, erzählt von den Anfängen, als die DKP das Kulturzentrum zusammenhielt
Interview: Delf Rothe
taz: Vor dreißig Jahren rollten hier, wo wir jetzt stehen, noch die Schweineköpfe…
Matthias Otterstedt: Das Schlachthofgelände war wie ein kleiner Stadtteil und umfasste fast ein Drittel der Bürgerweide. Bis 1976 wurde geschlachtet, dann standen die Gebäude leer. Die wurden von der Stadt fast komplett abgerissen, weil man Platz für ein Kongresszentrum und anderes schaffen wollte. Da hatten einige Leute was dagegen – die wollten die Gebäude lieber erhalten und kulturell nutzen. Deshalb gab es eine Besetzung.
Mit Erfolg?
Das Interesse der Besetzer galt ursprünglich hauptsächlich der alten Fleischmarkthalle. Die wurde aber 1980 in einer Nacht und Nebelaktion abgerissen. Daraufhin sind viele der Besetzer frustriert abgezogen. Der Teil der hier geblieben ist, hat sich dann daran gemacht die alte Kesselhalle, das Magazingebäude und den Wasserturm einigermaßen nutzbar zu machen. Mit ein paar Büroräumen, einer Kneipe und einem Konzertraum.
Was waren das für Leute?
Politische Gruppen, soziale Initiativen, aber zum Beispiel auch Chöre. Die meisten stark DKP-orientiert – das war die Klammer. Die DKP hatte die nötige Organisationsform, um so einen Laden in Gang zu bringen und genügend Leute zusammenzukriegen. Nach etwa vier Jahren löste sich diese Bindung ein bisschen und es wurde gemischter.
Was waren denn die ersten Projekte?
Das Interesse galt am Anfang der eigenen Entwicklung, da waren Gestaltungsprojekte sehr dominierend. Es mussten ja erst einmal die Grundlagen dafür geschaffen werden, dass sich hier Leute treffen und etwas machen können. Nach außen hin sichtbar war natürlich der Veranstaltungsbereich. Der hat sich im Laufe der Jahre gewandelt. Es gibt hier heute immer noch Punk, aber Anfang der Achtziger war der Schlachthof eine richtige Hochburg. Aus ganz Norddeutschland pilgerten damals die Punks nach Bremen.
Die Toten Hosen waren auch mal hier…
Diese Geschichte wird natürlich immer gerne erzählt. Die Hosen hatten tatsächlich ihr erstes öffentliches Konzert bei uns im Magazinkeller.
Wie ging es weiter?
Es gab eine Phase der Erweiterung. Mit Hilfe von ABM-Stellen konnte unter anderem das Außengelände, wie man es heute kennt, errichtet und der Turm ausgebaut werden. Das funktionierte ganz gut, denn es gab damals das gesellschaftliche Bedürfnis, ABM-Maßnahmen umzusetzen. Da war man froh, dass es den Schlachthof als Großbaustelle gab. Der Arbeitssenator hat das mit Sachmitteln komplementiert, sodass wir kaum Kosten hatten und weiter wachsen konnten.
Die Stadt hat Sie unterstützt?
Nach dem Abriss der Fleischmarkthalle hat die Stadt dem Verein Kulturzentrum Schlachthof, der sich 1980 gegründet hat, den Zuschlag für die restlichen Gebäude gegeben. Ein Pachtvertrag wurde abgeschlossen und es gab von der Stadt einen Betriebskostenzuschlag. Die Arbeit wurde zum Teil aus ABM-Mitteln finanziert und zum Teil ehrenamtlich geleistet. Anfang der 90er Jahre gab es die große ABM-Krise, das war der Anlass die Arbeit zu verstetigen. Ab 1994 gab es für uns schließlich einen festen Haushalt, in dem auch Personalkosten enthalten waren.
Waren Sie dadurch nicht abhängig?
Natürlich waren wir in einer gewissen Abhängigkeit. Andererseits muss man auch sagen, dass wir einiges für die Stadt zu bieten haben und diese mit uns und anderen Einrichtungen gerne auch „angibt“. Wir haben aufgepasst, dass wir unsere Linie nicht verlassen und unsere Autonomie nicht preisgeben. Denn von der Unabhängigkeit leben Einrichtungen wie der Schlachthof. Das weiß man auch bei der Stadt.
Lief denn alles immer so glatt wie es klingt?
Klar gab es auch mal Notsituationen. Einmal hatten wir plötzlich 100.000 Mark Schulden ohne Vorwarnung. Wir hatten ABM-Buchhalter, die haben nicht immer rechtzeitig kundgetan, wenn wir mehr Ausgaben als Einnahmen hatten. Außerdem hatten wir Konkurrenz durch das Modernes bekommen und versucht, mit einer Reihe teurer Konzerte dagegenzusteuern – zu denen dann nicht genügend Leute kamen. Die Schulden haben wir mit einem eisernen Sparprogramm innerhalb von einem Jahr abgetragen. Das war schon eine aufregende Zeit.
Welche Rolle spielte die taz?
Man hatte natürlich ein ähnliches Klientel. Das heißt die Leser der taz waren auch die potenziellen Besucher des Schlachthofs. Deswegen haben wir die taz dann auch genutzt, um die Monatszeitung „Zett“, die wir gemeinsam mit dem Lagerhaus herausgeben, einem größeren Publikum zugänglich zu machen.
Was ist heute anders?
Zu Beginn gab es einen großen Kreis an Menschen, die Interesse hatten, in einem nicht-staatlichen, offenen Zusammenhang zu arbeiten, Projekte zu machen, Themen zu diskutieren. Darauf war eben auch die Programmatik des Schlachthofs ausgerichtet. Das ebbte mit der Zeit aber ab, zum Beispiel weil die Grünen parlamentarisch wurden und manche Interessen quasi aufsogen und insgesamt eine gewisse „Entpolitisierung“ stattfand. Jetzt hatte man diese ganzen Möglichkeiten geschaffen, aber die Leute, die diese nutzen wollten fehlten mit einem Mal. Es hat einige Zeit gedauert, sich darauf einzustellen, die Projekte dann eben selbst durchzuführen. Dadurch hat sich unsere Arbeit natürlich verändert.
Heute im Schlachthof (Bürgerweide/Findorffstraße): Openair-Kino „Urlaub vom Leben“ in der Arena, 22 Uhr; Gothics-Party, Magazinkeller, 22 Uhr. Programm: www.schlachthof-bremen.de