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Archiv-Artikel

Radikaler politischer Anspruch, in Töne gefasst: Das Staatsorchester spielt Luigi Nonos „Il Canto Sospeso“ Total konstruiert, aus dem Bauch heraus

Il Canto sospeso, „Der schwebende Gesang“ oder auch „Der unterbrochene Gesang“: Der Titel klingt geheimnisvoll. Dabei hat das 1965 entstandene Stück des italienischen Komponisten Luigi Nono durchaus einen handfesten politischen Hintergrund. Nono hat in diesem musikalischen Schlüsselwerk Bezug genommen auf elf Briefe von Antifaschisten, geschrieben angesichts des Todes aus den Vernichtungslagern der Nazis.

Der Canto sospeso ist eine der ersten künstlerischen Reflexionen und eine der wenigen substanziell ernst zu nehmenden musikalischen Stellungnahmen zu den Nazi-Verbrechen. Nonos radikaler musikalischer und, vielleicht noch mehr, sein politischer Anspruch sorgten für eine vehemente Diskussion. Kein Wunder, denn Nono hat die Textzitate in einer Weise vertont, die es kaum mehr möglich machen, den brisanten Inhalt zu verstehen. Er hat die Worte in einzelne Silben und Phoneme zerlegt und damit in die Grundsubstanz seiner Musik integriert.

Nonos erklärtes Ziel war es, in seiner Musik die Botschaft der Briefe widerzuspiegeln und somit deren Vermächtnis zu bewahren. Die Mehrheit der apolitischen Komponistenkollegen verstanden dieses Verfahren nicht oder wollten es nicht akzeptierten. Während man auf der einen Seite Nonos kompositorische Meisterschaft durchaus sah, wollte man auf der anderen Seite die politische Botschaft des Stückes nicht wahrnehmen. Karlheinz Stockhausen unterstellte Nono sogar, er hätte das zur Textunverständlichkeit führende Kompositionsverfahren deshalb gewählt, weil man solche Texte eigentlich gar nicht hätte vertonen dürfen, da man sich ihrer schämen müsste. Na ja, die Logik des zumeist brillant denkenden und ungeschickt formulierenden Stockhausen ist in Hamburg seit dem seinetwegen abgebrochenen Musikfest 2001 hinreichend bekannt.

Im Grunde saß die Irritation der Komponistenkollegen seinerzeit tiefer. Sie beruhte auf Nonos einzigartiger Fähigkeit, serielle Kompositionstechniken mit größter Emotionalität und Sinnlichkeit zu verbinden. Im Grunde kommt dies einer Quadratur des Kreises gleich, denn die serielle Kompositionstechnik ordnet nicht nur die Tonhöhen einer vom Komponisten erfundenen Zwölftonreihe unter, sondern auch die Toneigenschaften wie Rhythmus und Lautstärke. Demnach werden die zwölf Töne in eine bestimmte Reihenfolge gebracht, außerdem zwölf verschiedene Lautstärkegrade bestimmt und zwölf Tondauern. Und damit wird dann komponiert.

Genauso theoretisch konstruiert, wie sich diese Beschreibung des Kompositionsverfahrens hier liest, klang die Mehrheit der so entstandenen Musik. Gegen eine solche, rein konstruierte Kopfmusik hat sich Nono, wie übrigens auch der musikästhetische Cheftheoretiker seiner Zeit Theodor W. Adorno, vehement gewendet. Und Nono ist einer der wenigen, denen es tatsächlich gelang, mit seriellen Mitteln eine höchst emotionale und berührende Musik zu schreiben. Wer es nicht glaubt, der sollte am Sonntag oder Montag in die Musikhalle gehen. Er wird es erleben. Reinald Hanke

So, 11 Uhr + Mo, 20 Uhr, Musikhalle; jeweils eine Dreiviertelstunde vorher gibt es eine Einführung