: Tortellini bei Vollmond
■ Ein Jahr Kinderzirkus im Schlachthof / Zirkusdirektor Penske: „Keine Spielerei“
hier bitte die Paßfotos
links Gesicht bemalt,
rechts mit Schlips
Zirkusdirektor Penny, im Dienst und im ErnstF.:privat
Konzentriert blickt Jessica in die Ferne. Sie schiebt einen Fuß aufs Seil, der Körper folgt langsam, dann der andere Fuß. Zentimeterweise geht es mit weit gestreckten Armen voran, bloß nicht nach unten sehen, sonst zieht der Abgrund. Plötzlich dreht sich Jessica um 180 Grad, knickt ein und versucht, in der Hocke zurückzugehen. Wild schwankt das Seil: Absturz!
Einen Meter geht's tief, dann
kommt Matte: Der Kinderzirkus „Totellini“ probt auf dem „Magazinboden“ des Schlachthofs. Dienstags stehen Akrobatik und Seil auf dem Programm, reine Mädchen-Sache. Heute ist Vollmond, das kennt Zirkusdirektor Penny Penske schon, da hat man einen Sack Flöhe. Fünf Mädchen von 8 bis 12 sind es an diesem Tag (es gibt auch 17-jährige), mit Leggins und Gymnastik-Schuhchen, und zum Teil treiben sie es toll mit ihrem Zirkusdirektor. Stoisch in einer Ecke übt derweil die große Sandra Handstand mit Abrollen.
Den Kinderzirkus Tortellini gibt es jetzt ein Jahr, 25 Kinder machen mit, drei Gruppen proben regelmäßig. Was da alles passiert: Keulen fliegen durch die Luft und Fackeln, Clowns gibt's und Akrobaten, Einradfahrer und Kinder, die mit Devil-Sticks und Diabolo umgehen können. Das sind schwebende Stäbe und eine Art Riesen-Jojo. Tortellini hatte bislang fünf öffentliche Auftritte, einen umjubelten im Schlachthof vor 200 Zuschauern. Eine Stunde Programm!
Die kleine Sandra stürzt sich in den Handstand wie zum Kopfsprung. Penny korrigiert, während zwei Saboteusen Schokolade kauen, die in der Hand nicht schmilzt. Eigentlich ist Penny Penske (38) Meß- und Regelmechaniker aus dem Heideort Buchholz (“Ich bin eine Mischung aus Schnucke und ostpreußischem Adel“). In seinen rebellischen Jahren gehörte er zum SSB (Sozialistischer Schüler-Bund). Flog darum aus der Firma. Wurde Drucker in Bremen (“Was ich gedruckt habe? Ist noch nicht verjährt!“). Wie wird einer Kinderzirkus-Direktor?
„Ich war dritter Landesmeister im Kunstturnen in Niedersachsen.“ Eine solide Basis. Als er mal drei Bälle in die Finger bekam, sah Penny Penske sofort ein, daß er ein Naturtalent ist. „Es klappte auf Anhieb.“ Seit zehn Jahren ist er jetzt freiberuflicher Gaukler und Kleinkünstler, mal bei der „Schlaraffenbande“, jetzt mit dem „Gauklerduo“ und „Flax und Schmalz“ zusammen. Seit Dezember '90 organisiert er ABM-gestützt das allsonntägliche Kindertheater im Schlachthof. Und macht Tortellini.
Jetzt fassen sich zwei an den Händen, eine Artistin soll über den Rücken der anderen abrollen. Da kommt Begeisterung auf, da hat der Vollmond keine Chance. Penny entdeckt, daß man auch von einem Tisch abrollen kann. Das Training folgt keinem festen Programm, eher den Neigungen. Trotzdem: „Wir spielen nicht Zirkus, wir lernen richtige Fähigkeiten.“ So begründet Penske auch die Altersgrenze nach unten (8 Jahre). Kleinere Kinder, sagt er, spielen zu viel.
Genauso begeistert wie die Kinder sind die Eltern von Tortellini. Da Penny Penskes ABM- Stelle dieses Jahr ausläuft, haben sie vorsorglich schon mal an die Kultursenatorin geschrieben. Die Eltern fordern „die dringend notwendige materielle und personelle Absicherung der Zirkusarbeit, das heißt: Festanstellung von Penny Penske! „ Bus
Kontakt: Tel. 72319 / 353075
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