■ Querspalte: Topfen und Deckeln
Ich war nur kurz in der Krippe. Es gibt ein Foto, das mich neben einem riesigen Klötzchenturm zeigt, grienend wie ein Schmalzkanten, als hätte man meine Wangen mit „Elsterglanz“ poliert. Wenig später biß Uwe Becker mir in die Nase, und meine Mutter holte mich heim. Ans „Topfen“, das in DDR-Krippen obligate Synchronkackritual, kann ich mich nicht erinnern.
Wenn ich Christian Pfeiffer glaube, hat es mich beschädigt. Der Spiegel moderiert den Kriminologen aus Hannover so an: „Seine These: Gewalt gegen Ausländer eskaliert in den neuen Ländern, weil das SED-Regime seine Kinder 40 Jahre lang zu haßerfüllten Duckmäusern erzogen hat.“ Dieses Programm hat Pfeiffer neulich – mit ein paar Koloraturen und Konjunktiven verziert – vor Ostpublikum live aufgeführt. Im Spiegel wundert er sich nun, daß er dafür nicht auf Schultern aus der Kirche getragen wurde. Es verblüfft ihn, daß Leute, die schon im Dunkeln stehen und ihre Taschenlampe verloren haben, ihre alten stinkenden Schwefelhölzchen nicht auch noch wegschmeißen wollen. Deshalb will Pfeiffer nun „Henry Maske, Katarina Witt, Friedrich Schorlemmer“ sowie „Dagmar Schipanski“ als fünfte Kolonne bemühen. Diese schrillste Best-of-Collection seit Gary Glitters Greatest Hits soll bitte schön „den Mut haben, das Tabu zu brechen“, und ihren Landsleuten offenbaren, was DDR-Verziehung noch alles angerichtet hat außer einem Eisenhüttenstadt in den Seelen. Der Diskurs, der darüber im Westen geführt würde, sei am Osten offenbar fast spurlos vorübergegangen, bedauert Pfeiffer, „als hätten westdeutsche Anthropologen über ein fremdes Volk geforscht...“
So unschuldig kann nur einer staunen, der a) vor einem riesigen Klötzchenturm sitzt, oder b) sein Lebtag den Waldmeistersirup stets im gleichen „Edeka“-Regal vorgefunden hat. Pfeiffer mag von diesem und jenem eine Ahnung haben. Nur einem Sachverhalt sollte er sich noch behutsam zu nähern versuchen: Er forscht über ein fremdes Volk. André Mielke
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