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Top statt hopp

Mit dem 4:1 gegen Werder Bremen setzt sich Hertha BSC an der Spitze fest und versucht, gelassen zu bleiben

BERLIN taz ■ Im Gegensatz zu seinem Bruder ist Dieter Hoeneß, was die Wahl seiner Worte betrifft, ein vorsichtiger Mensch. Darum hat der Manager von Hertha BSC, kaum war sein Team an die Tabellenspitze der Bundesliga geschlichen, flugs eine neue sprachliche Nuance erfunden. „Wir sind kein etablierter Tabellenführer“, definierte Hoeneß die aktuelle Situation. Will sagen: ein Bayern München, das, sobald es erstmals vorn steht, schon landesweit als unumstößlicher Champion gefeiert wird, selbst wenn dieses Ereignis am zweiten Spieltag eintritt. Sondern eher jemand wie Schalke 04, eine Mannschaft, die es gar nicht recht glauben kann, dass sie so weit oben steht, erst recht nicht, dass sie dort ausharren könnte, und die erst dann wagt, das Wort „Meisterschaft“ zu artikulieren, wenn sie zwei Spieltage vor Saisonschluss zehn Punkte Vorsprung hat.

Seit dem Samstag allerdings sind die Berliner schon ein wenig mehr etabliert, auch wenn Dieter Hoeneß nicht müde wird, vorzurechnen, dass „erst ein Drittel der Saison gespielt ist“, was folgerichtig bedeute, dass noch zwei Drittel gespielt werden müssten. Das überzeugende 4:1 gegen Werder Bremen, der sechste Sieg im sechsten Heimspiel, hat den Euphoriepegel bei den Verantwortlichen jedoch deutlich steigen lassen. „Vom Taktischen, vom Spielerischen und von den Torchancen her das beste Heimspiel“, freute sich Trainer Jürgen Röber, der vor allem glücklich darüber war, wie konzentriert sein Team zu Werke ging. „In den Heimspielen vorher, gegen Köln oder Cottbus zum Beispiel, haben wir uns Nachlässigkeiten geleistet, die man sich gegen Bremen nicht erlauben kann“, sagte der Coach, der zuvor vom „wichtigsten Spiel der Saison“ gesprochen hatte.

Groß war die Unsicherheit, wie die Mannschaft die ungewohnte Bürde des Spitzenreiters tragen würde, groß auch der Respekt vor Werder, trotz der gewaltigen Lücke, die in der Tabelle zwischen den beiden Teams klafft. „Es sah am Ende so aus, als ob die Bremer schlecht gewesen wären“, meinte Manager Hoeneß, „aber das lag nur daran, dass wir so gut gespielt haben.“ Eine Einschätzung, der Werder-Coach Thomas Schaaf nur zustimmen konnte. „Hertha hat fast alle Zweikämpfe gewonnen und uns überhaupt nicht zur Entfaltung kommen lassen“, lobte er den Gegner.

Die Dominanz im Mittelfeld, die Fülle der – mit fairen Mitteln – absolvierten und gewonnenen Zweikämpfe in diesem Bereich stellen in der Tat eine neue Qualität des Berliner Spiels dar. Ermöglicht wird sie durch eine offensivere Ausrichtung, vor allem bei Spielen im Olympiastadion. „Was ist denn der Grund, dass wir oben stehen?“, fragt Dieter Hoeneß und gibt selbst die Antwort: „Dass wir noch kein Unentschieden gespielt haben. Hopp oder top.“

Der andere Grund für Herthas Blüte heißt Stefan Beinlich. Der von Bayer Leverkusen gekommene Mittelfeldspieler stopft nach hinten eifrig die Löcher und ist als Anspielstation eine Bank. So gut wie nie spielt er einen Fehlpass, verliert auch sonst kaum einen Ball und vermag es, seine Mitspieler blitzschnell und punktgenau in Szene zu setzen. Darüber hinaus schafft es allein er kraft seiner Autorität, den ballverliebten Brasilianer Alex Alves dazu zu bringen, die Kugel hin und wieder doch mal abzugeben, was dem Südamerikaner gegen Bremen zu seinem besten Spiel im Hertha-Dress verhalf. Ein Tor schoss Alves selbst, zwei bereitete er nach plötzlichen Anfällen von Kooperationsbereitschaft vor. Der Mann des Matches war dennoch Beinlich, der sich den vierten der allesamt wunderbar herausgespielten Hertha-Treffer selbst vorbehielt und dabei durch den Bremer Strafraum und um Torwart Rost herumtänzelte, als habe er die Nacht zuvor mit dem Studium von Maradona-Videos verbracht.

Nach der gelungenen Heimpremiere als Spitzenreiter vor 40.097 zufriedenen Zuschauern sieht Dieter Hoeneß bereits eine neue Gefahr lauern: „Selbstzufriedenheit.“ Um der zu wehren, müsse man „immer neue Reize setzen“. Zu denen zählt jedoch nicht der Blick auf den Verfolger aus München. Die Bayern, so Dieter Hoeneß, „interessieren uns erst wieder kurz vor Weihnachten, wenn wir gegen sie spielen.“

MATTI LIESKE

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