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Ton-Flaneur

■ In Lisbon Story läßt Wim Wenders die Bilder manchmal wieder laufen

Ganz ist es noch nicht zurück. Aber es regt sich zumindest wieder, dieses Gefühl des Hin-und-her-geworfen-Seins, des Sich-nicht-entscheiden-Könnens und Sich-nicht-entscheiden-Wollens, das den Kritiker bei Filmen von Wim Wenders lange befallen, geärgert und zugleich auch bestens unterhalten hat. Der Anfang von Paris, Texas: gigantisch, tierisch, Weltklasse. Der Rest (bis auf einzelne Momente und das Gesicht von Nastasja Kinski): eine Beziehungsgeschichte. Die beobachtenden, einfach registrierenden Einstellungen aus Himmel über Berlin: oft schön, manchmal augenöffnend, gelegentlich anrührend. Diese Momente überlagernd: verquaster Seelenkitsch.

Und so fort. Lange Zeit hatte es in allen Wenders-Filmen sehr schöne und recht furchtbare Momente gegeben, und zwar nicht so, daß sie sich zu etwas Mittelmäßigem verbanden, vielmehr lagen das Großartige und der Absturz jedesmal im Wettstreit miteinander, so daß als das eigentlich Spannende dieser Streit erschien – spannender noch als die Bilder selbst.

Dann war der Streit entschieden, zwei Filme, einige Nebenprojekte und eine Reihe von Interviews lang. An seine Stelle trat die Langeweile und der Überdruß, Bis ans Ende der Welt und In weiter Ferne so nah waren eben nur noch verquaste Filme.

Jetzt, bei Wim Wenders' neuem Film Lisbon Story, ist der Streit wieder da. Stellenweise nämlich gewinnt der Film eine Unbeschwertheit, die man bei diesem Regisseur nicht mehr erwartet hat. Das liegt dann oft an dem Schauspieler Rüdiger Vogler, der herrlich unbedarft durch Lissabon stapft. Aber auch die Bilder selbst haben eine Zeitlang diese Leichtigkeit des scheinbar Unbeabsichtigten – in manchen Momenten kann Wenders den theoretischen Überbau wieder tatsächlich vergessen, der, so schien es, längst seine Art zu sehen und zu zeigen unter sich begraben hat. Dann kann er die Bilder wieder einfach laufen lassen.

In manchen Momenten. In manch anderen kann er es wieder nicht. Dann ist die Handlung nichts anderes als eine Bebilderung von filmästhetischen Thesen, oder der Film steht gar still, um Platz zu machen für die wahrnehmungstheoretische Abhandlung. Und in wieder anderen Momenten kriegen auch die Bilder selbst einen Knick. Daß Wim Wenders' Frauenbild (wie übrigens auch Künstlerbild) stets vom Kitsch bedroht ist, zeigt sich auch hier.

So gibt es in Lisbon Story einiges zu entdecken (Lissabon, Augenblicke, Vogler) und an Wenders weiterhin viel zu kritisieren (Romantik, europäischer Eigenweg, Kitsch). Aber der Streit geht weiter. Was uns freut. Dirk Knipphals

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