piwik no script img

Time Warp Again

Zu seinem 10. Geburtstag nimmt das Warp-Label im Ohrensessel Platz  ■ Sascha Lazimbat

Möchte man die Geschichte von Techno noch einmal aus heutiger Sicht rekapitulieren, dann gehört eine kleine Firma namens Warp mit Sicherheit zu den wichtigsten Einflüssen auf die Rezeption dieser Musik hierzulande. 1989 machte das Sheffielder Label auch in Deutschland mit einem unerhörten Sound Fu-rore, der bis heute nur lautmalerisch mit „Bleeps & Clonks“ bezeichnet wird. Projekte wie LFO, Tricky Disco und Sweet Exorcist entwarfen abstrakte Klanglandschaften, deren musikalische Inspiration gleichermaßen vom Detroiter Techno afro-amerikanischen Ursprungs wie von europäischer Avantgarde-Elektronik geprägt war. Das hat nicht wenige deutsche Produzenten zur Nachahmung inspiriert.

Nach einigen Jahren der musikalischen Diversifikation erfand Warp 1993 mit der Artificial Intelligence-Compilation gleich ein weiteres Subgenre der Samplekultur: Intelligent Techno, jene Sorte elektronischer Musik, die nicht für den Club, sondern für den Ohrensessel gemacht wird. Acts wie B12, Autechre, Aphex Twin begeisterten fortan auch den studierten Stadtzeitungsleser für synthetische Töne. Der Siegeszug elektronischer Musik quer durch alle Szenen und Klassen wäre ohne die Missionarsarbeit der Sheffielder so wohl nicht denkbar gewesen.

Nun feiert man bei Warp zehnten Geburtstag, und das richtig üppig. Vor kurzem wurden gleich drei verschiedene Jubiläums-CDs veröffentlicht. Die eine nennt sich Influences und enthält die Musik, die die Label-Macher Steve Beckett und Rob Mitchell überhaupt erst dazu animierte, ihren Indie-Rock-Plattenladen zu einer Techno-Schallplattenfirma umzufunktionieren. Numero zwo heißt Classics und versammelt folgerichtig stilbildende Aufnahmen von Warp-Acts wie LFO und Nightmares On Wax. Die dritte enthält Remixes des Back-Katalogs und schlägt damit gekonnt die Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft.

In der Gegenwart ist man bei Warp aber noch vollauf mit Feiern beschäftigt. Letzte Woche fand in London ein dreitägiges Mammut-Festival statt, dessen Gästeliste eindrucksvoll demonstrierte, wie groß und illuster der Freundeskreis der Sheffielder mittlerweile geworden ist. Videoregisseur Chris Cunningham, der seine ersten Projekte für Warp realisierte und schon wenig später von Madonna angeheuert wurde, tuschelte mit Björk über seinen ersten Spielfilm, und überhaupt fehlte so gut wie niemand, dessen Name in Londoner Hip-Kreisen etwas zählt. Musikalischer Höhepunkt des Events war der Auftritt von Plaid, einem Produzenten-Duo, das schon das letzte Album von Party-Gast Björk produzieren durfte.

Ihre mystisch angehauchten, tief melancholischen und oft überraschend melodiösen Reisen durch einen höchst eklektizistischen Soundkosmos unternahmen sie zuvor noch als Trio unter dem Projektnamen Black Dog. Plaid sind der Headliner der nunmehr quer durch Europa tingelnden Warp-Tour, die heute in der Hansestadt gastiert. Die beiden anderen Live-Acts des Abends demonstrieren aber noch deutlicher, wie weit sich Warp in seiner Geschichte vom Dancefloor weg und zum Albumhörer hin bewegt hat. Broadcast zelebrieren genüßlich Krachexperimente über Breakbeats, dass es auch dem gereiften Einstürzende Neubauten-Fan eine Electronica-Freude ist. Und die gewagte Mischung von Easy Listening, Postrock und kitschigen Chorälen, die Plone auf ihrem jüngsten Album zusammenrühren, ist dann wohl endgültig keinem Raver mehr zu vermitteln. Lassen wir uns überraschen, ob die nächste Warp-Generation es wenigstens live auf unsere Füße abgesehen hat.

Stephan Strüver (DJ), Plone (Live), Plaid (Live), Broadcast (Live): Do, 11. November, Grünspan, 21 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen