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Tieffluglärm läßt Tiere sterben

■ Wenn Kampfjäger tieffliegen, verlieren trächtige Kühe ihre Kälber und versagt Schweinen das Herz / Unveröffentlichte Bundeswehrstudie belegt Schäden / Milliardenverluste für die Bauern?

Von Andreas Wertz

„Das ist doch wohl ein Scherz“, sagt Horst–Günther Hartmann und lacht irritiert ins Telefon. Herr Hartmann arbeitet in der Flugbetriebs– und Informationszentrale - kurz FLIZ - beim Luftwaffenamt in Köln. Daß dort Tag für Tag 50 aufgebrachte Bundesbürger anrufen und sich über Tiefflieger beschweren, ist für Hartmann mittlerweile normal. Hörbar aus dem Häuschen gerät er jedoch, wenn man ihn auf die Behauptungen des Bauern Hermann Tammen aus dem friesischen Ammerland anspricht. Der nämlich ist sich sicher, daß den deutschen Bauern durch Tieffluglärm Schäden entstehen, die in die Milliarden gehen. Erstmals und öffentlich hat er das bereits im Februar gesagt, in einer Diskussionsveranstaltung des Niedersächsischen Bauernbundes, an der auch Vertreter der Luftwaffe und der SPD beteiligt waren. Als Vorstandsmitglied des Bauernbundes überreichte er damals den Politikern einen offenen Brief, aus dem hervorgeht, daß nach militärischen Tiefflügen „Kühe den Fötus abstoßen, Schweine an Herzversagen eingehen und Geflügel erstickt“. Beweißnot der Bauern Weil jedoch nach gängiger Rechtsprechung die Bauern selber beweisen müßten, daß daran jedesmal die Tiefflieger Schuld sind und dieser Nachweis in der Regel praktisch unmöglich sei, würden sie den Schaden bisher stillschweigend meist selber tragen. Die Politiker versprachen, sich um die Sache zu kümmern, doch passiert ist seither nichts, bis auf einige neue Schadensfälle freilich, weswegen Hermann Tammen auch keinen Grund sieht, seine Ansicht zu ändern. Genugtuung und Freude würde es ihm allerdings bereiten, wüßte er, daß der wissenschaftliche Nachweis für seine und anderer Bauern Alltagserfahrung seit einigen Jahren im Bundesverteidigungsministerium lagert. Tierversuch mit Phantomjägern Denn bereits 1981 bekam das „Institut für Tierhygiene“ in Hannover vom Bundesverteidigungsministerium den Auftrag, herauszufinden, wie Rinder und Pferde, Hühner und Hunde, Schweine und Mastputen reagieren, wenn zum Beispiel ein Phantomjäger über sie hinwegfliegt, keine 100 Meter hoch und etwa fünfmal so laut wie ein Preßlufthammer. Entsprechende Tierversuche fanden auf dem Erprobungsgelände 91 der Bundeswehr im niedersächsischen Meppen statt. Während drei Versuchswochen wurden die Tiere eingesperrt und bis zu 14 Mal hintereinander von Flugzeugen und Hubschraubern überflogen. Wissenschaftler beobachteten das Verhalten der Tiere, schallgeschützt allerdings, denn der Fluglärm überstieg meist 90 Dezibel, eine Lautstärke, die beim Menschen schon Gehörschäden verursacht hat. Die Versuchsergebnisse haben gereicht, elf Doktorarbeiten hervorzubringen, und treffen im Kern folgende Aussagen: Bei fast allen Schweinen stieg der Östrogenspiegel und damit die Gefahr einer Fehlgeburt drastisch an. Jede dritte trächtige Kuh erlitt eine Frühgeburt, das ist zehnmal so oft als sonst üblich. Hühner fraßen ihre Eier, bei Pferden verdreifachte sich der Pulsschlag. Fast alle Tiere verloren die Orientierung, rannten ziellos umher, kletterten aufeinander oder begannen zu kreiseln. Kostspielige Beweispflicht Überraschend sind diese Erkenntnisse nicht. Einzelne Schadensfälle sind seit 20 Jahren bekannt und haben schon einige Male die Gerichte beschäftigt. So sprach das Oberlandesgericht Hamm 1983 einem Bauern 1.000 Mark Schadensersatz zu, weil eine seiner Kühe einen Abort hatte und notgeschlachtet werden mußte. Aber lassen sich solche Fälle zu einer Schadensumme von Milliarden Mark addieren? Und warum werden sie dann nicht häufiger bekannt? Weil, so erklärt Hermann Tammen, die Bauern den eigentlichen Schadensgrund häufig nicht erkennen würden oder es aufgegeben hätte, ihn einzuklagen. Zur Begründung erzählt er einen eigenen Fall: Kürzlich hat eine seiner Kühe nach sieben Monaten Trächtigkeit ihr Kalb verloren. In den Tagen zuvor waren wieder die Tiefflieger unterwegs. Tammen holt den Amtstierarzt. Der Arzt nimmt der Kuh Blut ab und läßt es serologisch untersuchen. Wenn dabei auch nur die Andeutung einer Krankheit des Tieres gefunden wird, ist er nicht mehr bereit, den Tieffluglärm als Ursache der Fehlgeburt zu attestieren. Aufgrund der Beweispflicht ist jeder Bauer, der Schadensersatz verlangt, auf solch ein Gutachten angewiesen. Doch Hermann Tammen hat Pech. Die Blutuntersuchung deutet auf eine Schimmelpilz–Vergiftung. Die Tiefflieger könnens also nicht gewesen sein. Tammen hat 1.500 Mark verloren, für das Kalb und den Ausfall an Milch, weil seine Kuh schon einige Zeit trocken stand. Das für ihn jedoch „Dollste“ ist: Auch die Arztkosten von 160 Mark muß er bezahlen. Die bekäme er nur dann ersetzt, wenn als Schadensursache Tieffluglärm anerkannt würde. Tammens Fazit: Wenn der Schadensnachweis schon kaum gelingt, jeder gescheiterte Versuch, ihn trotzdem zu erbringen, den Bauern aber auch noch Geld kostet - dann läßt er es doch lieber ganz bleiben. Geld vom Amt für Verteidigung Zahlen müßten übrigens die sogenannten Ämter für Verteidigungslasten. Die sind in allen Bundesländern eingerichtet und auch jetzt schon an Beträge in Milliardenhöhe gewöhnt, denn soviel kosten bereits die alljährlichen Manöverschäden. Aber eine Verdoppelung der Ausgaben wäre ihnen wohl doch nicht so recht. Folgerichtig beharrt Horst– Günther Hartmann vom FLIZ in Köln darauf, daß die Viehschäden durch Tieffluglärm nur Einzelfälle seien. „Sonst wäre der Verteidigungsminister in der Pflicht, etwas zu tun“, ergänzt er noch. In der Tat.

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