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Therapie für Glauke

■ Christa Wolf stellt ihre neue Mythen-Verkehrung „Medea“ vor

Die Bösen sind meist die schillernderen Figuren, dürfen sie doch Gift und Galle versprühen und mit dem Establishment aufräumen. In ihnen schlummert das dramatische Potential aller ungebremsten Leidenschaften und Laster, während die Heroen und Heldinnen doch zumeist als moralisches, gesellschaftliches Korrektiv und damit deutlich unspektakulärer daherkommen.

Entsprechend beanstandete die Rezensentenwelt Christa Wolfs Verkehrung der barbarischen Kindesmörderin, Landesverräterin und Giftmischerin Medea zur weisen Naturheilerin und unschuldig Geächteten patriachalischer Allmachtsphantasien. Tatsächlich stattet Wolf ihre Heldin, wie bereits bei Kassandra, mit einer höheren Moralität aus, als gelte es, die Gescholtene unter den persönlichen Schutz der Autorin zu stellen und sie gegen alle Unkenrufe immun zu machen.

Medeas Untaten sind bei Wolf nicht mehr als Lug und Trug einer überforderten Männergesellschaft, die das Abweichende, das Andere, eben die überlegene, wehrhafte Frau nicht erträgt und der Einfachheit halber zum Bösartigen umdeutet. Pingelig geht Wolfs Entlast-ungsschrift Anklagepunkt für Anklagepunkt durch. Da verläßt Medea ihre Heimat, hintergeht den Königsvater, nicht aus schnöder Begierde für Jason, sondern weil ihr Kolchis längst zu korrupt und dekadent geworden ist. Ihr Bruder stirbt nicht durch ihre Hand, sondern fällt dem fundamentalistischen Fanatismus alter Weiber zum Opfer. Und Medeas Söhne werden von einer Horde Korinther niedergemetzelt, verenden also nicht durch mütterliche Raserei.

Nebenbuhlerin Glauke rückt keine eifersüchtige Medea mit einem vergifteten Kleid zu Leibe. Die Protagonistin läßt der Deprimierten gar eine psychoanalytische Beratung angedeihen. Und Jason – soll Glauke den Prahlheini ruhig bekommen. Wolfs Medea will ihn sowieso nicht mehr, hat sie doch längst mit einem abgefahrenen Bildhauer angebandelt. Ein billiger Kunstgriff, der Medeas einstige Triebfedern, Eitelkeit und Eifersucht, in Gleichgültigkeit auflöst.

Mit jeder gutgemeinten Image-Renovierung büßt Wolfs Heldin auch an Virulenz und Handlungsspielraum ein. Schnell bleibt ihr nichts anderes mehr übrig, als sich auf die Tatenlosigkeit einer Weltbegutachterin zurückzuziehen, die den Gang der Geschichte nur noch in trauergeränderten Bestandsaufnahmen zu kommentieren weiß. Die einst schwer zähmbare Bedrohung verkümmert zur resignierten Schmerzensfrau aus dem Osten.

Ärgerlich zudem, daß Wolf Medea mit einer altbackenen, feministischen Stimme ausstattet, in der vermeintlich weibliche Gefühligkeit als die bessere Logik und Urteilskraft empfohlen wird, doch damit eigentlich nur eine patriachalische Affektenlehre, durch eine andere, nicht minder zweifelhafte überschreibt. Birgit Glombitza

Mo, 23. September, 20 Uhr, Audimax

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