: Therapie der doppelten Abhängigkeit
■ Auf dem zehnten Bundesdrogenkongreß in Fellbach bei Stuttgart wird erstmals ausschließlich über Abhängigkeiten bei Frauen diskutiert / Zentrale Frage: Setzt Therapie drogenabhängiger Frauen an ihrer speziellen Sucht oder an der Abhängigkeit im Patriarchat an?
Aus Stuttgart Dietrich Willier
Bundesgesundheitministerin Rita Süssmuth hat noch am Tag vor Beginn des Kongresses abgesagt, sichtlich unwohl fühlt sich ein baden–württembergischer Staatssekretär als erster Begrüßungsredner, die Vertreterin von Elternkreisen drogenabhängiger Kinder berichtet, der Wohlfahrtsvizepräsident wünscht eine glückliche Hand. Die zwei Frauen auf der Bühne ziehen gelangweilte Gesichter, nur wenige klatschen. Die Mehrheit der Frauen und die wenigen Männer konzentrieren sich erleichtert auf den inhaltlichen Teil ihres Kongresses: „Wenn Frauen aus der Falle rollen“. Auf diesem zehnten Bundes drogenkongreß in Fellbach bei Stuttgart soll zum ersten Mal seit Bestehen des Fachverbands Drogen und Rauschmittel allein über Rolle und Abhängigkeiten von Frauen geredet werden. Themen: Therapieeinrichtungen, der „leisere Abhängigkeitscharakter“ bei Frauen, Magersucht und Medikamentenabhängigkeit, Mißbrauch– und Gewalterfahrung drogenabhängiger Frauen, Frauen– und Männerbilder in der Beratung, AIDS–Problematik, Sexualität und Erotik, drogenabhängige Frauen und ihre Kinder. Es sei wichtig, so hatte Ministerin Süssmuth in einem Grußwort geschrieben, „die speziellen Unterschiede in der Drogentherapie bei Frauen und Männern herauszuarbeiten“. Die Frauen sind empört und verständnislos: „Das ist kein Stil.“ Forschung über die spezielle Drogenproblematik von Frauen, so Roswitha Soltau als eine der Organisatorinnen des Kongresses, gebe es überhaupt nicht. Frau Prof. Sabine Scheffler aus Köln zitiert in ihrem Einführungsreferat „Frauen und Abhängigkeit“ einen deutschen Poeten der Jahrhundertwende, „eines Tages wird das Mädchen da sein und die Frau, deren Name nicht mehr nur einen Gegensatz zum Männlichen bedeuten wird, sondern etwas für sich.“ Heute, so die Referentin, seien Aushöhlung und Selbstvernichtung patriarchalischer Werte und Kultur nicht mehr zu übersehen, Grundüberzeugungen, Mo ral, Gefühls– und Phantasiewelten, unsere Beziehungsmuster seien grundsätzlich beschädigt. „Frauen und ihre Abhängigkeit, in ihrer Abhängigkeit sind ein stützendes wie widersprüchliches, ermunterndes und entmutigendes Beispiel für die Zerrissenheit unserer Befindlichkeiten. Frauen als Verzichtsfigur dieser Kultur.“ „Die neue Armut“, so Sabine Scheffler, „ist eine Armut der Frauen, die die Individualisierung sozialer Risiken zu bewältigen hat.“ Das Verhältnis von Produktion und Reproduktion und damit Kleinfamilie, Ehe, Elternschaft, Sexualität und Liebe gerieten in Bewegung. Die Folge für Frauen: Schuldgefühle, Ängste, Konflikte und Neurosen. Drogenabhängigkeit, so Frau Scheffler, unterscheide sich dann nur noch wenig von der allgemeinen Abhängigkeit, die Frauen erführen. Drogenabhängige Frauen hätten sich aus der Hoffnungslosigkeit „kolonisierter Weiblichkeit“ für Vernebelung und Verlogenheit entschieden. Therapeutisches Ziel also könne nicht die Bekämpfung der Sucht, sondern nur das Durchbrechen der Abhängigkeiten sein, und das, ohne gegenüber süchtigen Frauen zur „Supermutter“ zu werden, aber mit Verständnis für deren traditionelle Wertorientierungen. „Frauen“, so Sabine Scheffler an ihre ungefähr 350 Zuhörerinnen und die wenigen Männer in der Fellbacher Schwabenlandhalle, die bewußt mit Frauen arbeiten, „sind von dem Anspruch geleitet, weibliche Versorgungswünsche als Aspekt der weiblichen Rolle aufzugeben.“ Verzicht, Hingabebereitschaft, Passivität und Opferbereitschaft von Frauen, die „innere Kolonisierung“, müsse aufgegeben werden, um dem täglichen „Skandal von Schädigung und Verfügbarkeit“ durch den Mann zu entgehen, ebenso wie der patriarchalen Struktur therapeutischer Institutionen. Ulrike Kreyssig, Mitarbeiterin bei Violetta Clean, einer Berliner Einrichtung für drogenabhängige Frauen, warnt dabei vor den „rosaroten Fallen“. Vor den verständigen und doch selbstverständlich männlichen Leitern von Drogeneinrichtungen ebenso wie vor den „Freiern mit Kondom“. Als „Randproblem einer Randgruppe“ hatte schon der stellvertretende Vorsitzende des Fachverbands Drogen und Rauschmittel e.V. (FDR) die Absicht eines Kongresses über drogenabhängige Frauen verhöhnt. Endlich sei es einmal gelungen, so Frau Kreyssig, sich gegen die „Lederjackenfraktion der Drogensozis“ durchzusetzen. Emanzipation, war den Sozialarbeiterinnen und Drogentherapeutinnen vorgeworfen worden, mache süchtig - nach mehr, wissen die Frauen. Weil es keine Anmeldungen dafür gegeben habe, falle die Arbeitsgruppe „abhängige Ausländerinnen“ aus, wird mitgeteilt. Für die AG „leise Abhängigkeiten - Frauen sind unauffälliger süchtig“ hatten sich zu viele Teilnehmerinnen gemeldet. Nach Gruppenarbeiten am Dienstag und einer Selbstdarstellung verschiedener Projekte am Mittwoch soll der Kongreß am Donnerstag mit einer Plenumsdiskussion zum „kleinen Unterschied in der Drogenarbeit“ zu Ende gehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen