: Theissen geht vor das Verfassungsgericht
■ Memminger Arzt will Klarstellung zum BGH-Urteil/ Ist ärztliche Erkenntnis vom Gericht überprüfbar?
Memmingen (dpa/taz) — Der frühere Memminger Frauenarzt Horst Theissen hat durch seine Anwälte Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einlegen lassen. Wie einer seiner Frankfurter Anwälte gestern bestätigte, will Theissen drei in seinem Verfahren strittige Punkte verfassungsgerichtlich klären lassen.
Vor knapp drei Monaten hatte der Bundesgerichtshof (BGH) das Memminger Urteil vom Mai 1989 im wesentlichen bestätigt. Der 1.Strafsenat hielt Theissen für schuldig, in 36 Fällen illegale Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen zu haben. Viermal habe eine versuchte Abtreibung vorgelegen, und in 19 Fällen sei nicht wie vorgeschrieben ein anderer Arzt konsultiert worden.
Der BGH hatte jedoch entschieden, daß 20 Fälle, die die Memminger Richter in ihrem Urteil berücksichtigten, verjährt waren. Das Strafmaß von zweieinhalb Jahren sei deswegen zu hoch. Der Bundesgerichtshof verwies das Verfahren zurück an das Landgericht Augsburg.
In der 50seitigen Verfassungsbeschwerde wollen Theissens Anwälte folgende drei Punkte klären lassen: Laut Gesetz sei eine Abtreibung nicht strafbar, wenn der Mediziner aufgrund seiner „ärztlichen Erkenntnis“ von einer Notlage überzeugt ist.
Das Verfassungsgericht soll sich laut Anwalt Jürgen Fischer dazu äußern, inwieweit die ärztliche Erkenntnis von einem Gericht im nachhinein überprüfbar ist. Außerdem soll geklärt werden, inwieweit ärztliche Unterlagen der Beschlagnahme unterliegen und ob die Beschlagnahme der Patientinnenkartei Theissens verhältnismäßig war. Schließlich soll die Verfassungsbeschwerde die Frage klären, ob die Memminger Richter befangen waren oder nicht.
Die Verfassungsbeschwerde hat laut Fischer keine aufschiebende Wirkung. Das Landgericht Augsburg könnte ungeachtet der Beschwerde einen Termin für die neuerliche Verhandlung gegen Theissen festsetzen. Nach Angaben eines Sprechers des Landgerichts wartet man in Augsburg noch auf die Akten aus Karlsruhe.
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