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Theater Das 18-tägige Festival „Theater der Welt“ in Hamburg ist dieses Jahr ein lautes Plädoyer für Gastfreundschaft. Der Philosoph Achille Mbembe etwa kommt in der Hütte des Künstlers Fernando Rubio unterProtest gegen neue Mauern

Ein Darsteller gießt während der Generalprobe des Stücks „Die Gabe der Kinder“ Wasser auf eine Darstellerin Foto: Christophe Gateau/dpa

aus Hamburg Robert Matthies

Ein freundliches und optimistisches Zeichen in düsteren Zeiten. Das solle „Theater der Welt“ in diesem Jahr ausdrücklich sein, sagte Thalia-Intendant Joachim Lux am Donnerstagvormittag zur Eröffnung des 18-tägigen Festivals im Hamburger Thalia Theater. Nicht nur wolle es zeigen, was das Theater heute rund um die Welt bewegt, sondern auch dessen gesellschaftspolitische Kraft deutlich machen und leidenschaftlich zur Diskussion stellen, was die Welt im Ganzen umtreibt: Wie vor dem Hintergrund von Kriegen und Terrorismus, zunehmender globaler sozialer Ungleichheit und den großen Flucht- und Migrationsbewegungen mit den Mitteln der Kunst Grenzen überwunden werden und neue Gemeinschaften begründet werden können.

Ein vielstimmiger Protest gegen neue Mauern und die Renaissance des Protektionismus und ein lautes Plädoyer für Gastfreundschaft und Kooperation statt Ausschluss und Konkurrenz solle es sein, gegen die Angst angehen und Mut machen: eine Einladung, trotz allem hoffen zu dürfen und andere Bilder und Gegenwelten zu entwerfen.

Hoffnung in düsteren Zeiten

Wie düster die Zeiten und der Ausblick in die Zukunft tatsächlich sind, das machte der Politikwissenschaftler und Philosoph Achille Mbembe kurz darauf in seiner programmatischen Eröffnungsrede deutlich. Der Kameruner gilt spätestens seit seinem Manifest „Kritik der schwarzen Vernunft“, in dem er sich mit der Entstehung des rassistischen Denkens im Kapitalismus und dessen Ausweitung im Neoliberalismus auseinandersetzt, als derzeit wichtigster Vordenker des Postkolonialismus. Im Prozess eines globalen „Schwarzwerdens“, argumentiert Mbembe, sei auch Europa nur noch eine weitere Provinz in einem globalen Imperium des neoliberalen Kapitalismus und „längst nicht mehr der Kapitän“.

Wir lebten in Zeiten permanenter Eskalation, sagte Mbembe in Hamburg, in denen immer mehr Menschen davon überzeugt seien, dass das Ende der Menschheit kurz bevorstehe – und viele dieses Ende auch ersehnten. Geprägt sei die Welt heute von einem „negativen Messianismus“, der an die Stelle der Idee der Erlösung ein bloßes Überleben und eine neue Politik der Gewalt setze und darauf verzichte, überhaupt noch Formen des Zusammenkommens mit all den überflüssig Gewordenen und Nichtgewollten zu suchen. Statt sich um sie zu kümmern, würden sie in Sicherheits- und Todeszonen eingeschlossen, während sich die anderen immer weiter selbst-immunisierten und einschlössen: düstere Aussichten für die Demokratie.

Dass man trotz allem noch hoffen darf und wie die Kunst neue Formen des Zusammenkommens möglich machen kann, das wiederum wurde am Nachmittag in der performativen Installation „The time be­tween us“ des argentinischen Künstlers Fernando Rubio deutlich. Am Rand all des Trubels des Festivalzentrums „Haven“ auf dem Gelände des ehemaligen Afrika-Terminals auf dem Baakenhöft mitten im Hamburger Hafen hat Rubio eine kleine Holzhütte aufgebaut und den Schauspieler Christoph Finger eingeladen, dort für fünf Tage zu leben und Raum, Zeit, Erinnerungen und die Fragen, die er an das Leben hat, mit Gästen zu teilen. Der erste Gast, den Rubio und Finger gemeinsam mit rund 20 Zuschauer*innen in das temporäre Zuhause einluden, war Mbembe.

Im Gegensatz zur formellen Eröffnungsfeier im Thalia Thea­ter war die Stimmung während des halbstündigen Gesprächs zwischen dem Schauspieler und dem Philosophen unmittelbar direkt. Beide sprachen über die geteilte Empfindung, sich als Fremde, die sich nie zuvor begegnet waren, sofort und unmittelbar vertraut zu fühlen. Warum das Haus, auf dessen Holzlatten Finger überall mit Kreide Sätze wie „Es wird Vormittage und Nachmittage und Abende dauern“ oder „Was hätte sein können?“ geschrieben hat, aussehe wie ein Text, fragte Mbembe.

Weil Worte Geschichte seien und es möglich machten, sich auf sich selbst und zugleich auf die anderen zu beziehen, antwortete Finger. Weil das Haus ein Raum sei, der Zeit für Fragen gebe – Zeit, sie zu stellen, ohne keine Zeit zu haben; weil es darum gehe, der Zeit selbst Zeit zu geben. Und weil es darum gehe, das eigene Haus für die Geschichten der anderen zu öffnen, die Orte der Gastfreundschaft und des Willkommenheißens zu vervielfachen; weil es darum gehe, Spuren über das Leben hinaus weiterzugeben und beim Weitergehen Stücke voneinander mitzunehmen.

Zeit, zu fragen Weil das Haus ein Raum sei, der Zeit für Fragen gebe – Zeit, sie zu stellen, ohne keine Zeit zu haben; weil es darum gehe, der Zeit selbst Zeit zu geben

Direkt nebenan, an Bord der MS „Stubnitz“ – eines zum Kulturschiff transformierten ehemaligen Fischtrawlers der DDR-Hochseeflotte, der seit Längerem im Hamburger Hafen liegt – ging es kurze Zeit später um den zweiten Schwerpunkt des Festivals: einen anderen Umgang mit dem Ort Hafen und dem sozialen Raum Wasser – die diesmal bei „Theater der Welt“ programmatische Klammer und Spielort zugleich sind. Die Hamburger Kunstaktivisten von der Geheimagentur zeigten dort auf und unter Deck in ihrer Performance „Ports“ die Ergebnisse ihrer künstlerischen Recherche aus dem vergangenen Jahr.

Die neue Seeblindheit

Gegen die zunehmende „Seeblindheit“ – die Reduktion der einst vielfältigen ­Nutzung der Meere auf Tourismus und Car­go­handel und die damit einhergehende Verwandlung der einst lebendigen Häfen in menschenleere Sicherheitszonen – erkundeten die Geheimagent*innen weltweit alternative Formen von Hafen- und ­Wassernutzung: vom informellen Seehandel zwischen Hamburg und Laos über den Protest gegen die Kreuzfahrtindustrie in Venedig bis zum Hafen für „Radical Seafaring“, den die Kunst­ak­ti­vist*in­nen letzten Sommer im Rahmen des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel in Hamburg eröffnet hatten. Ein kraftvolles Plädoyer für eine Rückeroberung der Häfen und eine Recht-auf-Wasser-Bewegung – und eine Einladung, ganz konkret beim Workshop in den kommenden daran teilzuhaben.

Und auch bei der Eröffnungsinszenierung „Die Gabe der Kinder“ des samoanischen Starregisseurs und Community-Workers Lemi Ponifasio ging es um die Verwandlung von Räumen und Orten in neue Freiräume für die Kultur. Eigens für den 9.000 Quadratmeter großen ehemaligen Kakaospeicher des einstigen Afrikaterminals hat Ponifasio gemeinsam mit seinem Ensemble MAU und rund 200 Kindern und Erwachsenen aus Hamburg zur Komposition „Credo“ des Kanadiers R. Murray Schafer ein gewaltiges musiktheatrales Transformationsritual entwickelt. Zu dessen eigentlichem Protagonisten wird dabei die riesige Halle selbst: Wie in Zeitlupe durchschreiten dunkel gewandete Gestalten anderthalb Stunden lang den Raum, kippen wie in einem archaischen Ritual irgendwann Wasser auf den staubigen Boden, spielt die Inszenierung geschickt mit den Lichtverhältnissen, während draußen langsam die Sonne untergeht. Darin ein optimistisches Zeichen in düsteren Zeiten zu erkennen, fällt schwer.

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