The East-Regisseur über so ziemlich alles: „Aktivismus ist wie SM“
Zal Batmanglij berichtet von Alternativen zu zivilem Ungehorsam, die Kraft der Naivität, schockierende iPads – und seinen neuen Post-Occupy-Thriller.
taz: Herr Batmanglij, Ihr Film „The East“ erzählt von jungen Menschen, die politisch aktiv werden und umweltverpestende Konzerne massiv bedrohen – ist das die Richtung, in die politischer Protest gehen sollte?
Zal Batmanglij: Diese Art des Protests, die für mich weniger mit Gewalt als vielmehr mit Aggression zu tun hat, ist schon interessant und vielschichtig: Wenn meine Protagonisten sich auf eine Firmenparty schmuggeln und den Mitarbeitern dort das von dem Pharmakonzern selbst produzierte Gift unterjubeln, ist das ja nicht die klassische Darstellung von Gewalt, an die wir im Kino gewöhnt sind: Prügel, Erschießen und so weiter.
Aber es ist weit weg von friedlichem Demonstrieren.
Ja, das stimmt. Es ist körperlich, was dort passiert. Denn ich weiß einfach nicht, ob friedlicher ziviler Ungehorsam einen wirklich weiterbringen kann – es geht ja immer darum, ob man langsame Anpassungen oder einen weltbewegenden Umsturz will. Und die Charaktere in meinem Film wollen den Knall. Ich unterstütze das nicht persönlich, ich selber wäre schon zufrieden, wenn ich mich selbst verstehen würde …
Ich sehe aber, dass die Umwelt, und das ist es ja, worum es in „The East“ geht, ein Teil von uns allen ist. Wenn ich höre, dass „die Menschen den Planeten zerstören“, kommt mir das immer merkwürdig vor – als ob „der Planet“ weit weg wäre. Wir sind schließlich der Planet, also machen wir uns selbst kaputt, wenn wir ihn zerstören.
Sie haben Ihren Charakteren aber persönliche und unterschiedliche Motive gegeben, sich an den Aktivitäten zu beteiligen und nicht das vage Wir-sind-die-Erde-Gefühl.
wurde 1981 in Frankreich geboren und wuchs in Washington auf. In Los Angeles studierte er Anthropologie und machte eine Regieausbildung am American Film Institute. Sein Bruder Rostam spielt in der Rockband Vampire Weekend. Beide leben offen schwul.
Stimmt, ich glaube eigentlich auch, dass immer noch ein persönlicher Grund dahintersteht. Bei manchen ist es fast wie eine Therapie, andere haben nur die politische Komponente im Kopf. Und manche sind einfach einsam, weil sie gerade verlassen wurden, und hoffen, sie lernen im Occupy-Camp jemanden kennen – die Motive können also zart oder extrem sein. Es bleiben trotzdem persönliche Motive.
Die Gesellschaft scheint länderübergreifend politisch aktiver geworden zu sein, angefangen mit Occupy bis hin zum Arabischen Frühling. Hat Sie das thematisch beeinflusst?
Na ja, ich habe das Script zu „The East“ bereits vor dem Beginn der Occupy-Bewegung geschrieben, aber als es losging damit, war mir klar, dass ich hier etwas ausdrücke, das gerade in vieler Menschen Köpfe ist, dass es allgemein eine große Frustration gibt. Ich finde aber immer wieder erstaunlich, wie wenig unterm Strich bei diesen ganzen Aktivitäten herauskommt. Occupy ist fast vergessen.
Ist die Globalisierung der Informationen auch ein Grund für die Zeitgleichheit der Proteste?
Ich glaube eher, dass das ebenfalls die Effektivität der Proteste verlangsamt. Ich sehe das wie in der Mode: Bis in die 90er, als die Informationen noch nicht so einfach und überall flossen, unterschieden sich die Moden je nach Jahrzehnt stark voneinander, seit den 90ern kann man sie kaum noch auseinanderhalten. Meiner Ansicht nach haben die vielen Veränderungen, also das Netzzeitalter, uns alle stark geschockt.
Ich würde uns als Gesellschaft manchmal gern beruhigend auf die Schulter klopfen. Denn so ein iPad ist höchst schockierend! Ich weiß gar nicht, was es wirklich bedeutet! Ich kann es zwar bedienen, aber habe keine Ahnung von der Dimension, die dahintersteckt.
Was soll man denn machen? Keine modernen Geräte benutzen?
Weiß ich auch nicht. Ich kann die Globalisierung nur beobachten, nicht ändern. Wenn ich heute nach Deutschland komme, spricht man hier zwar eine andere Sprache, und ich weiß von der anderen Geschichte, aber alles andere wirkt seltsam gleich.
Die ehemalige FBI-Agentin Sarah (Brit Marling) wird von einer privaten Sicherheitsfirma beauftragt, „The East“ zu infiltrieren. Die Öko-Terroristenvereinigung verübt Anschläge auf korrupte Konzerne, die etwa Umweltauflagen nicht einhalten. Sarah ist so fasziniert wie abgestoßen von der Gruppe um Benji (Alexander Skarsgard) und muss zudem mit dem Misstrauen von Gruppenmitglied Izzy (Ellen Page) kämpfen. Als Sarah tiefer in die Hintergründe einsteigt, beginnt sie an den Motiven ihrer Auftraggeber zu zweifeln. Die Gruppenziele und das Verhältnis zu den Beteiligten werden ihr immer wichtiger.
Nützt es etwas, wenn ein Film ein paar dieser Fragen stellt?
Nein, ein Film kann nichts ändern. Er kann vielleicht manchmal Gedanken anstoßen, aber das war’s.
Sind Sie selbst schon einmal angestoßen worden?
Ja, einer meiner wichtigsten Filme ist „Harold and Maude“. Den liebe ich, denn die Politik der Güte finde ich immer noch am interessantesten, eben weil sie so kompliziert ist, weil man so schnell kitschig werden kann oder sentimental. Die Politik der Gewalt ist zwar aufregend, aber langweilig.
Wenn das alles nichts bringt, und auch Filme nichts bewirken, was kann man denn dann tun?
Empathischer sein. Empathie ist für mich noch wichtiger als Liebe. Und natürlich Bildung: Eine Theorie besagt, dass die wichtigste Protestbewegung unserer Zeit, die 60er, nur so groß werden konnte, weil die Nachkriegsgeneration besser ausgebildet war, und dass die Bildung momentan wieder so schlecht ist, um das Volk ruhig zu halten. Das passt auch wieder zu der Art, wie heute Wissen vermittelt wird: Wikipedia ist keine Bildung.
Und Sie sind nicht einfach nur zu alt für die neuen Medien?
Ich glaube, nicht. Wenn ich sehe, wie zum Beispiel gerade, zumindest in den USA, über Edward Snowden diskutiert wird, dann ärgere ich mich: Niemand redet über die Inhalte, alle wollen nur wissen, ob er ein Verräter ist, wollen den Thrill seiner Flucht genießen.
In den USA gehören die Grünen zu den mehr oder weniger unwichtigen „Third Partys“ – ist das auch ein Grund für die Story in Ihrem Film?
Bei uns gibt es eben dieses merkwürdige zentrale System, das das ganze Land zusammenhalten soll. Aber eigentlich ist unser System kaputt, und das denken auch die meisten anderen. Ich glaube, darum haben sie keine Lust, sich eine Zukunft als Politiker auszumalen.
Und sind das dann die Menschen, die Ökoterroristen wie in Ihrem Film werden?
Ja, Aktivismus ist ja ein bisschen wie SM: Man muss etwas Extremes tun, um etwas zu fühlen. Das ist nicht falsch. Aber es ist ein Extrem. Auf Dauer ist es eben nicht besonders effektiv.
Die „The East“-AktivistInnen denken, dass sie die Gesellschaft mit ein paar Drohungen in Schach halten können, und unterschätzen dabei die Macht der Konzerne. Weil sie naiv sind?
Das wurde mir schon öfter vorgeworfen. Und ja, es ist vielleicht naiv, aber Naivität mindert die Wichtigkeit ihrer Forderungen nicht. Ich glaube sogar, dass Naivität wichtig ist, weil sonst keiner mehr etwas machen würde.
In Ihrem letzten Film, „The Sound of Her Voice“, geht es ebenfalls um die Beziehungen einer Gruppe inmitten eines größeren sozialen Systems – wieso interessiert Sie das so sehr?
Weil ich glaube, dass der Mensch eigentlich für das Zusammenleben in großen Gruppen geschaffen ist, und wir das nur vergessen haben. Ich glaube, wir sehnen uns stark danach, wieder zu einer großen Gemeinschaft zu gehören, das ist genetisch in uns angelegt.
Aber die meisten leben doch in Gruppen, auch wenn es nur Kleinstgruppen sind?
Na ja, Sie wohnen doch bestimmt nicht mehr bei Ihren Eltern? Familien sind nur klitzekleine Einheiten, und wenn die Kinder aus dem Haus gehen, sind die Eltern traumatisiert. Ich finde, man sollte in Stämmen leben.
Wie kommen Sie darauf, dass die Menschen in Großfamilien oder Stämmen glücklicher waren? Da gibt es doch auch jede Menge Gründe für Traumata.
Forschern zufolge sind die wenigen Gesellschaften, die heute noch so leben, die glücklichsten und gesündesten. Ich will nicht klingen, als würde ich eine niedliche Vorliebe für exotische Lebensformen pflegen, aber ich denke wirklich, dass das die Art ist, wie Menschen eigentlich leben sollten. Man muss sich sehen, um sich zu verstehen, jeden Tag zusammen verbringen. Mit meiner Hauptdarstellerin Brit Marling habe ich auch eine Weile in einem Gemeinschaftshaus zusammengelebt.
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