: Thälmann und die Kunst der Furche
■ Die »Furche 2« von Maja Nagel in der Galerie Parterre
40 Schubkarren Sand vom nahe gelegenen Spielplatz am Thälmann- Koloß mußte Galerieleiter Thomas Grabka mit der Künstlerin Maja Nagel in die Galerie Parterre verfrachten. Mit diesem Sand rückte sie der Attrapen-Architektur der kommunalen Galerie des Kulturhauses zu Leibe. In dem Raum verstellt eine breitsockelige Säulenreihe absurderweise die der gestreckten Fensterfront gegenüberliegende Wand, so daß nur die Schmalseiten und Ecken als Hängefläche, vor denen der Betrachter auch Abstand nehmen kann, übrig bleiben. Maja Nagel verlieh der aus allen Proportionen geratenen Neoklassizistik mit einer bogenförmigen Sandfigur auf der Erde und einem Papierbaldachin, dessen Schwung zwischen Fensterfront und Wand den der Sandfigur aufnimmt und kreuzt, einen eigenen Schwerpunkt. Erst jetzt war ein spannungsreicher Schutzraum geschaffen, um ihre Zeichnungen und Fundstücke zu bergen.
In den Zeichnungen, auf senkrechte und waagerechte Achsen gereiht, greifen ihre Figuren Raum. Großfüßig schreiten sie aus, als wollten sie die Welt ausmessen. Sie recken die Arme in den Himmel, als wollten sie ihn auf die Erde holen. Sie balancieren auf einrädrigen Karren und instabilen Gefährten; manche haben gar mit Hilfe der Magie des Sechssterns das Fliegen erlernt. Die, die nicht unterwegs sind, spinnen sich in kristalline Liniennetze ein, entfachen an einem Ort das Herdfeuer, beziehen Zelte oder Häuser. Alle gehören einer Gemeinschaft an, in der zwischen Menschen, Tieren und Göttern noch wunderbare Metamorphosen möglich sind.
Was an diesen Figuren archaisch anmutet, sind oft Zitate sorbischer Mythen, denen sich Maja Nagel verbunden fühlt. Die mühsam gegen einen industriellen und kommerziellen Alltag konservierten Reste einer alten Kultur hat sie sich in Hunderten von Zeichnungen angeeignet. Vereinfacht und verfremdet, schüttelt sie deren Kosmos jetzt als tänzerische und subjektive Chiffren aus dem Handgelenk. Mit Tusche wischt sie ihre Figuren auf große Kartons, betont deren Aktivität mit vergrößerten Gliedmaßen.
Eine übermächtige Figur, den Vogelkopf mit einem Hahnenkamm gekrönt und aus einer großen Mondsichel säend, wacht auf einem großen Bild über dieser Gemeinschaft. Ihre Arme verlängern sich zu tropfenden, Funken sprühenden Wurzelschlingen, die direkt in die Erde fahren. Damit ist thematisch die Verbindung zu der Erde im Raum und ihrer mit Pigmenten markierten Furche gestiftet. Die kleinen, auf Sockel gesetzten Fetische sind alltägliche Fundstücke, in denen die Künstlerin ihren Motiven unvermutet begegnete: das Spielzeugrad und ein zerknittertes Blech, das wie ein Segel aufrecht steht, werden zu Symbolen des Unterwegsseins; Erde, Pigment und Knochen liegen in der »kleinen Opferschale« als Zeichen erdverbundener Rituale. Zeichnungen und Fetische besetzen das Motiv der Furche auch mit erotischen Konnotationen. Ein eingetrocknetes Fensterleder bildet eine »kleine Furche«, in der eine Glasmurmel zum Zeichen für Klitoris und Weltkugel wird.
Doch die Furche fungiert nicht nur als doppeltes Symbol der Fruchtbarkeit, sondern dient zugleich als Denkfigur. Auf einem ausgelegten Blatt schreibt Maja Nagel: »Immer das Gefühl von Sinnlosigkeit, wenn ich versuche, meine Gedanken in Wort zu pressen, hinterlasse ich unansehliche Furchen... So oder so läuft alles auf Zerstörung hinaus«. Drohende Zerstörung wird zum dickgedruckten Leitmotiv. Zwischen dem geschlossenen Universum ihrer privaten Mythologie und der Erfahrung der Zerstörung, zwischen dem ästhetischen Altarraum, den sie ihren Sehnsüchten baut und der Angst vor der Kommerzialisierung der Kunst und den Anpassungszwängen der Realität, fühlt sie sich eingeengt auf den »schmalen Grat meiner Möglichkeiten, gebogen und scharf wie eine Mondsichel«.
Sie versucht, entgegen den Sehnsüchten nach Harmonie, erfahrene Widersprüche produktiv umzusetzen. So gehen in ihren Raum für die Furche 2 sowohl der Anspruch einer ewig gültigen Mythologie als auch Kritik an erstarrten Formen und Werten ein. In ihrer Inszenierung akzeptiert sie die Flüchtigkeit einer Aussage, die selbst das immer Wiederkehrende beschwört. Der ephemere Charakter ihrer Kunst aber bestärkt zugleich ihre Angst, auf einen »Zierrat am Rande des Geschehens« reduziert zu werden. Gegen diese Gefahr des Verdrängtwerdens wiederum baut sie ihren Kosmos immer umfassender und elementarer aus. Katrin Bettina Müller
Furche 2 Ausstellung von Maja Nagel in der Galerie Parterre, 1055 Berlin, Dimitroffstraße 101, Mi—So 14—20 Uhr, bis zum 22.März.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen