piwik no script img

Teuflisches Drunter & Drüber zu Tische

■ Ein Musical zieht um: Das Junge Theater zeigt hinter dem niegelnagelneu und schummrig-dunkelblau gestalteten Foyer eine sehenswerte Neufassung des Black Rider

Eine Prophezeiung: Vielleicht wird das Publikum im Jungen Theater demnächst kreisförmig in der Mitte des Raums plaziert werden und von Schauspielern umtänzelt. Oder man hängt uns an der Decke auf, um uns besser unterwandern zu können. Immerhin wurde nach Charlie Braun nun schon zum zweiten Mal in diesem Jahr das konventionelle Raumkonzept dieses Theaters durcheinandergewirbelt.

Bei der „Small edition“ des Black Rider preßt die teuflische Katastrophenlogik der Story nicht nur die Schauspieler immer mal wieder an die schmale Stirnwand, sondern auch die Zuschauer an die zwei langen Seitenwände. Aus der tendenziell quadratischen Spielfläche des Alten Postamts 5 ist fast so etwas wie eine miniaturisierte Galopprennbahn geworden. Und auf dieser rennen, retten, flüchten, hinken, hoppeln, schleichen, eingerahmt von den Zuschauern Teufel, Vieh und Mensch über eine Art Laufsteg. Der ist in Wahrheit ein langer Tisch, etwa in den Dimensionen des Tisches von Leonardo da Vincis „Letztem Abendmahl“. Und wer hätte geahnt, was so ein simpler, blöder Tisch für inszenatorische Möglichkeiten des Drunters & Drübers bietet.

Gerade eben wurde das neue Foyer (fast) fertig. Es gedenkt pietätvoll des Wir-vergraben-uns-in-einer-Höhle-Stils der 70er Jahre. Schummrige dunkelblaue Farbe drückt wohltuend auf die Augenlider. Echte Tiefseeatmosphäre. Zwischenwand rausgerissen, Wand angepinselt: Alles hat die Crew des Jungen Theaters gemacht. Wer ständig selber hinlangen muß, dreht eben auch mal kurzerhand die Zuschauerpodeste um 90 Grad um. Und so haben die miesen (räumlichen und finanziellen) Produkti-onsbedingungen doch ihr Gutes: Not macht eben erfinderisch – auch Scheißsätze können wahr sein.

Das muß sich auch William Burroughs gedacht haben. Jedenfalls strotzt sein „Libretto“ vor Binsenweisheiten, die oft (hoffentlich) bewußt so mies formuliert sind, daß es knallkomisch wird. Der absolute Hitsatz: „Whatever you do, don't sell your you.“ Der Endreim als ulkige Zwangsmaßnahme zur Sinn-erzeugung. Im Black Rider überhöhte der unlängst zu Staub gewordene Beatnikveteran den trübsten Fleck seiner Biographie durch die geballte Aura teutonischer Mythen. Das versehentliche Niedermetzeln der Ehefrau im Drogenstumpfsinn soll gefälligst durch Faust- und Freischützsaga dämonische Qualitäten erhalten. Der verdruckste Behördenmensch Wilhelm will mit Hilfe des Teufels die Kunst des Jagens erlernen und dadurch die Gunst des Jägers und die Hand von dessen Tochter gewinnen. Burroughs warf sich dem Teufel namens Drogen nicht deshalb in die Arme, um Jägerstöchter zu ehelichen. Williams antibürgerliches Selbstbefreiungsexperiment und Wilhelms Sehnsucht nach der kleinbürgerlichen Eiapopeia-Ehe inklusive romantischem In-die-Augen-Gucken lassen sich nur unter viel Ächzen und Stöhnen zur Deckung bringen. Doch diese Brüchigkeit des gedanklichen Konzepts wird aufgefangen durch stilistische Brüchigkeit, zum Beispiel in Klamotten, Sprache und Schauspielerei. Wo alles deliriert, darf auch der Sinn delirieren.

Und so wechselt das bewährte Team des Jungen Theaters flink von der klebrigen Kitschschmonzette zur innigen Liebesromanze, von der Tragödie zur lustigen Groteske, von Ernst zu Ironie. Und wenn das Gedächtnis nicht trügt, macht es das in der Friesenstraße noch stil(bruch)sicherer, lustvoller und gewitzter als weiland im Postamt. Auch die wechselhaften Sangesqualitäten der Protagonisten passen bestens ins Konzept. Der Ton schwankt von glibbrig-glatter Musicalsentimentalität zu scheppernder Widerborstigkeit, wenn es in holdselige Höhen geht. Einfach zauberhaft ist ein reichlich querständiges, schmalbrüstiges Gesangstrio zum Hochzeitsreigen. Dasselbe, aber engelsgleich gesungen, wäre eine Katastrophe. Nach wie vor eine schlimme Beleidigung für alle Burroughs- und Drogenfans ist allerdings die Konzeption der Figur des Wilhelms. Als ob nur ein jammerläppisches, fahles Nichts von einem Menschen zum Drogengebrauch zu verführen wäre; das gerade eben nicht.

Die definitive Vollendung des Stilbruchs gelingt aufs Neue Mark Scheibe & Band. Diverse „etc.“s (der Begriff des Programmhefts für den Einsatz, zum Beispiel von fiepsigen Tröten) scheinen die sanftesten Empfindungen von Nilpferden hörbar zu machen. Erstklassige Klaviertechnik und erbärmlichste „Wha wha wha“-Trompeten-Imitationen ergänzen sich kongenial. Jahrmarktsgeschunkel artet aus in Avantgardenoise.

Veränderungen grundsätzlicher Natur gibt es nicht. Durch die neuen Raumbedingungen lohnt sich aber ein Besuch auch für jene, die das Stück schon gesehen haben. bk

21.-23.8., 26.-30.8., 1.-5.9., jeweils 20 Uhr

Die „Blue Moon Bar“, DIE Institution Bremens für qualitätsvollen Blues und Jazz, zieht ab nächsten Monat vom Wall Cafe ins Junge Theater um; nur logisch, bei den blauen Wänden. Das erstes Konzert ist am 7. September

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen