: Tempo statt Moral
■ Kästners „Pünktchen und Anton“ im Stadttheater Bremerhaven
Auf der Bühne sieht man weder Weihnachtsmann, Silberglöckchen noch Adventskalender. Der Regisseur hat alle betulichen Beilagen des traditionellen Weihnachtsmärchens über Bord geschmissen. Norbert Aust, Chef des Kinder- und Jugendtheaters in Kiel, weiß genau, was er will. „Pünktchen und Anton“ heißt das „Kinderstück zur Weihnachtszeit“. Und Erich Kästner der Herr, der als erstes auf die Bühne kommt, um sich und sein Kinderbuch vorzustellen.
Im ausverkauften Großen Haus des Bremerhavener Stadtheaters sitzen fast 700 Kinder, fünf- bis zehnjährige. Die hellen Stimmen zwitschern aufgeregt durch die Luft. Bis Kästner ihnen verrät, daß er seine Story geklaut habe, aus der Zeitung, wo er sie in einer 20-Zeilen-Meldung gefunden hatte, um daraus „Pünktchen und Anton“ zu machen. Pünktchen (Antonia Gottwald) ist die Tochter des reichen Fabrikdirektors Pogge, er hat eine schrecklich hochnäsige Frau, und beide haben keine Zeit für ihre Tochter. Die zieht mit ihrem Kinderfräulein durch das Berlin der 20er Jahre und bettelt aus purer Lust am Kitzel um Streichhölzer.
Da trifft sie Anton (Kay Krause), der rührend für seine kranke Mutter sorgt und Schnürsenkel verkaufen geht. Mit seiner Hilfe gelingt es ihr, den bösen Buben Robert, des Kinderfräuleins Verlobten, als Gangster zu enttarnen. Als er in Pogges Villa einbricht, schlägt ihm Bertha, die dicke Dienerin, mit der Riesenbratpfanne ordentlich eins über den Schädel. So wird Pogge menschenfreundlich: Anton und seine Mutter ziehen in die Villa, und alle singen am Ende zusammen: „Und die Moral von der Geschicht: Verachtet nur die andern nicht!“
Aust macht aus Kästner keine biedere Klamotte. Er verzichtet auf die dekorativ vollgestellte Bühne, kommt mit einem großen variabel nutzbaren Schrank, mit Tisch und Stühlen und einem blauen Hintergrund aus (Bild: Odilia Baldszun). In dieser sparsamen Einrichtung läßt er die Darsteller alles zeigen, was sie können. Sie singen (leider nur playback) und tanzen zu Melodien der 20er Jahre, sie verrenken sich und stilisieren ihre Figuren zu hochkomischen Typen.
Das hat Tempo bis zum Schluß und kann sogar die Allerjüngsten, für die die Geschichte noch etwas zu hoch ist, bei Laune halten. Antonia Gottwald im Blümchenkleid ist ein glaubwürdig munteres Pünktchen. Kay Krause mit Schiebermütze und Tornister auf dem Rücken scheint die Rolle des aufgeweckten Anton geradezu auf den Leib geschrieben.
Da ist nichts peinlich-kindisch oder pädagogisierend. Da wird lustvoll gespielt, und wenn Robert, „der Teufel“ (Ulrich Lenk) im Dunkeln mit der Taschenlampe die Bühne betritt, ist das Echo unter den Kindern groß: „Hallo, Räuber“, rufen sie ihm zu, und „Geh doch wieder nach Hause!“ Aber da hat die tapfere Bertha (Ingrid Müller-Farny) schon zugeschlagen.
Regisseur Norbert Aust ist in Bremerhaven der erste seit Jahren, der sein Kinderpublikum ernst nimmt, und ihnen mit diesem leicht moralischen Kästner-Musical (Musik: Hermann Gerner) mehr bietet als den üblichen sentimentalen und luschig gemachten Weihnachtsplunder. H.H.
Weitere Vorstellungen: täglich bis 18.12.96 um jeweils 9.30 Uhr und 11.30 Uhr. Am 22.12. um 11.00, 14.30 und 16.30 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen