: Tempo, Tempo, Tempodrom
Das neue Tempodrom feiert kommenden Mittwoch Richtfest. Im Dezember soll die Fertigstellung des 50 Millionen Mark teuren Hauses und die Verleihung des Filmpreises „Felix“ gefeiert werden. Das Kulturzelt musste seinen angestammten Platz wegen des Kanzlerneubaus räumen
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
Wer beim Richtfest schon an die Eröffnung des Gebäudes denkt, hat keine Angst vor der Zukunft. Das kleine Team des „Neuen Tempodroms“, das am kommenden Mittwoch Richtfest unter der Stahlkonstruktion für das zylinderförmige Dach feiert, kennt die Sorgen anderer Kulturveranstalter und Hallenbetreiber in der Hauptstadt nicht. Neben den Plänen für die Baustelle stapeln sich Programme und Verträge für die Zeit nach dem „Grand Opening“. Konkret wird auf das Jahresende, den 1. Dezember 2001, hin gearbeitet: Dann verdunkelt sich die runde Arena des nun in Beton gegossenen Kulturzelts. Die Bühne tauchen Scheinwerfer in grelles Licht, und Filmstars werden den „Felix“ an Drehbuchautoren, Regisseure und Darsteller überreichen. Der Europäische Filmpreis wird mit Glamour gefeiert und die Fertigstellung des neuen Tempodroms dazu.
Während der Termin im Dezember festliegt, befindet sich das Haus noch im Werden. Doch niemand auf der Baustelle hinter der Ruine am Anhalter Bahnhof lässt Zweifel aufkommen, dass das rund 50 Millionen Mark teure Projekt sich verzögern könnte. Nach der Grundsteinlegung im Herbst 2000 hatte es beim Aushub für die Manege zwar einen „Durchhänger“ gegeben. Aber die Verzögerung holten die Hamburger Architekten von Gerkan, Marg und Partner wieder auf. Und nach dem Richtfest wird, gleich am nächsten Tag, dem hohen Faltdach die Krone aufgesetzt. Es geht mit scharfem Tempo weiter im Neuen Tempodrom. Man will wieder spielen.
Vorerst wird jedoch eine für Berlin schon legendäre Kultureinrichtung zum Rohbau-Event. Zur großen Terrasse, die sich wie eine Platte über das rechteckige einstöckige Bauwerk legt, führen bereits die Stufen empor und geben die Aussicht über die Stadtlandschaft frei. Die Räume darunter für Gastronomie, Konferenzen und das „Liquidrom“, ein rundes Becken, in dem Besucher unter Wasser Musik hören können, sind fast fertiggestellt. Auch die amphitheaterartige Arena, die in die Mitte des Blocks eingelassen wurde, ist im Rohbau vollendet und erinnert an römische Theaterbauten. Drei Ränge für rund 3.000 Zuschauer umschließen die 36 Meter breite Manege mit Bühne und Backstage-Bereichen. Darüber erhebt sich die 39 Meter hohe Dachkonstruktion aus schlanken Stahlträgern, deren krakenhafte Arme mit Holz verschalt werden sollen.
„Kühlturm“ hat die freche Berliner Schnauze das Wahrzeichen des Neuen Tempodroms schon vor der Fertigstellung getauft. Für Irene Moessinger, Chefin des Tempodroms, ist es ein Symbol, das an die Anfänge des Veranstaltungsortes für Musik-, Theater-, Kabarettaufführungen in einem Zirkuszelt am Potsdamer Platz erinnert.
Die Kulturmanagerin fühlt sich mit ihrem „Neuen Tempodrom“ endlich dort angekommen, worauf sie seit Jahren hingearbeitet hat. Als könnte sie es noch nicht so recht glauben, dass unter ihrem Bürofenster so ein „irres Ding“ entsteht, guckt sie immer durch die Jalousien auf die Baustelle hinüber. „Jeden Tag gehe ich dorthin“, sagt sie und setzt den Bauhelm gleich wieder auf. Es sei für sie „unvorstellbar“, das mitzuerleben, sagt sie.
Dass Moessinger sich dabei nicht mit der Rolle der passiven Beobachterin zufrieden geben würde, war von Anfang an klar. Mit Verve hatte sie dafür gekämpft, dass nach dem Ende des Kulturzelts im Tiergarten 1997 wegen des Neubaus des Kanzeramts der Platz am Anhalter Bahnhof vom Bezirk Kreuzberg als neuer Standort zur Verfügung gestellt wurde.
Zwei Architektenteams samt Entwürfen wurden verschlissen, bis sich Moessinger und die Stiftung Neues Tempodrom auf die Planungen des Hamburger Büros einigten. Das neue Konzept – kein Zelt mehr, sondern ein festes Haus, neue Veranstaltungsreihen und Kongresse neben den bestehenden Programmen wie die „Heimatklänge“ – setzte sie ebenfalls gegen die Widerstände alter Tempodrom-Fans durch.
Von den anvisierten rund 40 Millionen Mark für den Neubau hat die Stiftung zwar noch immer erst zwei Drittel aus Fördergeldern, Ausgleichszahlungen für die Standorträumung im Tiergarten, von Sponsoren und aus Lottomitteln beisammen. Niemand zweifelt aber daran, dass Moessinger und der Stiftungschef, der Kabarettist Arnulf Rating, die Restsumme auftreiben – auch für die Kostensteigerungen, die wohl anfallen werden. „Wir kriegen das hin, auch wenn es schwierig ist“, sagt sie.
Die Tempodrom-Chefin ist Bauherrin geworden, das derzeitige Tempodrom-Ausweichquartier am Ostbahnhof managen andere. An den wöchentlichen Sitzungen mit den Architekten und Bauleitern, erzählt sie, nehme sie regelmäßig teil, auch um ihre Nutzungsinteressen in eine „wahnsinnig aufregende Arbeit“ einzubringen. Bauherrin und Architekten kooperierten auf der gleichen Wellenlänge, berichtet ein Ingenieur. Auf der Baustelle bewegt sie sich wie zu Hause. Moessinger, die einst im Zirkuszelt noch selbst aufgetreten war, hat hier ihre neue Bühnenrolle gefunden. Mitspieler sind die Bauarbeiter und Architekten. „Schade, dass das mal zu Ende geht“, meint sie und klopft mit der Hand die Betonwände.
Selbst wenn sich das Neue Tempodrom wandeln wird, Irene Moessinger nicht mehr in Zirkuswagen lebt und unter textilen Zeltdächern Künstler und Artisten auftreten lässt – der neue Veranstaltungsort wird wie bisher von den immer wieder neuen Ideen und Verrücktheiten seiner Chefin leben. Wenn am 23. Mai der Richtkranz auf das fast 40 Meter hohe Stahlgerüst gehievt wird, ist wieder Zirkuszeit. Mit einer tollkühnen Einlage werden die Berliner Motorrad-Artisten, die „Gebrüder Weißheit“, mit ihrem Feuerstuhl auf einem Seil vom Anhalter Bahnhof bis zur Spitze des Tempodrom-Daches donnern: Für das Bauwerk aus 700 Tonnen Stahl kein Problem, eher kracht der Anhalter Bahnhof ein. Fazit: Auch dem Neuen Tempodrom ist wieder alles zuzutrauen, schon beim Richtfest.
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