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Teenieklatsch und Heavy Metal

Der Kanzler würde sich freuen: Was sonst nirgendwo klappt, bei Jugendradio „Fritz“ scheint es zu funktionieren: die Verbrüderung von Ost und West bei Machern und Hörern. Fritz wird morgen drei Jahre alt  ■ Von Gunnar Leue

Eigentlich sollte vor zehn Tagen im „Soundgarden“, der etwas spezielleren Musikshow, neue Musik vorgestellt werden. Bevor Kuttner in „Blue Moon“ wieder nimmermüde Alltagsphilosophen an die Quasselstrippe gebeten hätte. Aber Kuttner und die etwas speziellere Musik kamen nicht. Die nicht unbedingt an den pubertierenden Teenie gewandten Sendungen fielen ausgerechnet dem Feindbild gereifterer Rockmusikfreunde zum Opfer. Die Plastikpopband „Take That“ hatte sich aufgelöst, für Fritz Anlaß zu einem fünfstündigen Brennpunkt über die Teenie-Katastrophe. Von 20 bis 1 Uhr gab's „Take That“ satt. Inklusive Live-Schaltungen zu den Fans vorm Hilton-Hotel.

Noch eine Woche zuvor waren beim „Hosenmontag“ auf Fritz ganz andere Töne angesagt. Die „Toten Hosen“ versuchten nicht nur ihre neue Platte zu promoten und etwas Chaos im Studio zu verbreiten, was beides gelang, sondern auch die Ideale des Punk hochzuhalten. Dabei gehören die Liedchen der Düsseldorfer Radaubrüder bei Fritz noch nicht mal zu den schärfsten Abweichlern von der 08/15-Klangnorm. Auch für Combos wie „Megadeth“ und „Ramones“ findet sich immer mal ein Sendeplätzchen im Musikprogramm, durch das sich genauso die Schleimspur von „Caught in the act“ oder „Bed in Breakfast“ zieht. Weiter kann den Bogen normalerweise nicht überspannen, wer heutzutage halbwegs massentaugliches Radio machen will.

Daß man mit so einem Gemischtwarenladen Erfolg haben kann und den auch noch gleichermaßen in Brandenburg und in Berlin, und das in Ost und West, ist nicht ganz alltäglich im deutschen Medienstadl. Wenn dann noch von harmonischster Eintracht in der ostwestgemischten Redaktion die Rede ist, fragt man sich besorgt: Was ist passiert bei Fritz, wo vor drei Jahren die Ost-West-Beziehungskiste gar nicht so schnell zusammengenagelt werden konnte wie sie wieder auseinanderkrachte?

Die Geburt von Fritz, dem „Ereignisradio“, wurde tatsächlich zum Ereignis. Vor allem in Sachen Zoff unter den zur Vereinigung verdammten Radiomachern. Ein gemeinsames Jugendprogramm durch Zusammenschluß von Rockradio B (ORB) und Radio 4U (SFB). So was konnte eigentlich nur Leuten einfallen, die zuviel Kanzler-Neujahrsansprachen mit dem Wunsch nach allseitiger Vollendung der inneren Einheit gehört hatten. Mit der Realität in der öffentlich-rechtlichen Jugendfunk- Nachbarschaft hatte das jedenfalls nichts zu tun.

Der Auftrag zur Zusammenlegung von ostdeutschem Rockradio B und Westberliner Radio 4U stieß bei den Machern auf einhelliges Entsetzen. Bei den Hörern sowieso. Im Osten war schon zuviel dem Westen angegliedert, doch selbst in Westberlin demonstrierten 4U-Fans für ihren Sender (immerhin gab es noch nie eine Abschaltung eines ARD-Kanals).

Derweil saßen sich Ossi- und Wessi-Redakteure gegenüber und „kotzten sich regelrecht voll“, wie Helmut Lehnert sich als Teilnehmer der Kennenlernrunde erinnert. „Wir Wessis waren die arroganten Dudelfunker, die vom Osten sowieso keine Ahnung hatten. Und für uns waren die Ossis die Ideologen, die mit ihrer Parolen- und Hippiehaftigkeit verstaubten Radiokonzepten anhingen. Wir wollten aus tiefstem Herzen beide nicht miteinander.“ Dem langjährigen SFB-Mann Lehnert gaben die Ost-Redakteure sogar schriftlich, daß sie ihn als Chef ablehnten. Was freilich nichts nützte.

Dieses eher typische deutsch- deutsche Zerwürfnis mochte Ex- Rockradio-Chefin Silke Hasselman auf der Pressepräsentation zum Sendestart von Fritz dann auch der Öffentlichkeit nicht vorenthalten. Statt den Journalisten einen intern abgesprochenen Text vorzulesen, erläuterte sie freimütig den Konflikt. Weil Fritz-Chefredakteur Lehnert diese Sponti- Nummer gar nicht lustig fand („sie hat ihren eigenen Kollegen in den Hintern getreten“), war die Ost- Fraktion fortan um eine Kraft dezimiert.

Als „Schlüsselerlebnis“ für die Redaktion sieht Lehnert das im nachhinein. „Es gab eine Vollversammlung, wo es dann hieß, so könnten wir nicht miteinander umgehen. Zusammenraufen war angesagt, es konnte ja nur noch besser werden. Was dann auch so kam. Nicht zuletzt, weil sich bald zeigte, daß es auf jeder Seite wirklich gute Leute gab.“

Die Hörer wußten das ebenfalls zu würdigen. Der Marktanteil von Fritz auf dem Berlin-Brandenburger Radiomarkt, dem angeblich härtesten in Europa, wuchs stetig. Er liegt heute bei knapp sechs Prozent, das ist mehr, als beide früheren Jugendsender zusammen hatten. Womit Fritz momentan das erfolgreichste Spartenprogramm in der Republik ist. Bei wem Fritz ankommt, erfährt man am besten in einem kleinen gelben Häuschen ein paar Meter neben dem Studio. „ORB-Werbung“ steht an der Tür, deren Klinke sich die Fritz-Hörer manchmal in die Hand geben.

Einer ist Swielan, elf Jahre alt und mit seinem Kumpel Christoph, zwölf, vorbeigekommen, um diverse Fan-Artikel einzukaufen. Die Fritz-CD-ROM, die legendäre Fritz-Wollmütze („paßt immer“) und natürlich das Fritz- Sammelalbum mit den Moderatorenbildchen. Ein paar Fritz-Kugelschreiber gibt's gratis dazu von Tatjana, die im kleinen Büro das Merchandising organisiert.

Seit Monaten ist reichlich zu tun, weil immer mehr Leute bereit sind, für ihre Fritz-Begeisterung zu bezahlen. Bis zur Umsatzmillion dürfte es nicht mehr lange sein. Auch ohne das Fritz-Fahrrad, das es nicht mehr gibt, weil es der Firma „Diamant“ letztlich zum Verlustgeschäft wurde. Dafür sind bald Fritz-Windjacken für den bekennenden Hörer im Angebot. „Fritz“, sagt Helmut Lehnert stolz, „ist ein Markenartikel geworden.“ Für den Tausende vor allem mit der Fritz-Wollmütze Werbung laufen. Ob auf den Köpfen, in den Köpfen, im Internet weltweit oder in der Babelsberger Fritz-Kneipe direkt vor der Haustür – Fritz ist überall.

Damit kommt die Realität der Vision von Lehnert verdächtig nahe, der den Sender zum Popstar machen wollte. „Wie R.E.M. Nummer eins sein und trotzdem gut.“ Zum leibhaftigen Popstar geworden ist mittlerweile die Ex- Fritz-Technopionierin Marusha, und auch die hauseigenen Kult- Fritzen Kuttner und Nonsens- Prolpoet Mike Lehmann sind längst Helden der Radioarbeit. Als Mikes erste Blödeltechno-Single, „Weita, weita“, in den Handel kam, wurde fast ein Berliner Plattenladen von stürmischen Fans verwüstet, die nach den limitierten CDs gierten.

Trotzdem behauptet Lehnert: „Wir haben nicht gezielt auf ein Kultradio hingearbeitet, sondern nur auf gutes Radio. Dabei zeigte sich, daß man frecher sein kann, als viele dachten. Es hatte nur noch keiner probiert.“ Fritz verstieß scheinbar gegen alle Radioregeln, mit dem Ergebnis, daß vieles von anderen Stationen inzwischen fleißig abgekupfert wird. Beispielsweise die „Comedy“, die zwar auch bei Fritz unmittelbar an der Flachsinnsgrenze in Stellung geht, abgestandene Dümmlichkeit jedoch draußen hält.

Überhaupt hat der Aufschwung von Fritz auch einiges mit dem allgemeinen Niedergang der Radiokultur zu tun. Ringsum kreist so viel Ätherschrott, daß nochmaliges Recyceln fast schwerer fallen dürfte, als gleich Neues zu entwickeln. Nur muß man den Mut zum Spagat zwischen Teenieklatsch am Morgen und Heavy-Metal-Stahlwerk am Abend erst mal haben, wenn Branchenkenner stets abwinken, mit einem Programm à la Fritz seien höchstens 50.000 Hörer pro Stunde drin. Daß fast doppelt so viele das Jugendprogramm mit dem höchsten Wortanteil in der Republik einschalten, beweist, welche Ausmaße die geistige Unterschätzung der Zuhörerschaft heutzutage erreicht hat.

Die Babelsberger Jugendfunker investieren jedenfalls lieber in Originalität statt in monetäre Gewinnspielchen. Die Innovationen sind der Haupttrumpf der rund hundert Radiomacher (davon etwa 20 „feste“). So ist das erste Berliner Talk- Radio kein anderes als Kuttners „Blue Moon“-Sendung, wo Menschen so existentielle Fragen wie die nach der Wasserdichtheit von Lebkuchen diskutieren können. Als erster auf der Matte stand Fritz auch mit einer eigenen (preisgekrönten) CD-ROM, einer Sendung rein in Englisch und einem Hörspielkrimi, bei dem die Anrufer die Ermittlungen übernehmen. Versteht sich, daß auch die wöchentliche Radioshow der „Toten Hosen“, geboren aus einer Bierlaune von Lehnert und dem Hosen-Manager, kein Vorbild in Deutschland hat. Die linken Deutschpunker bescherten Fritz zusätzlichen Imagegewinn.

In drei Jahren ist es Fritz gelungen, Mainstream und Individualität unter eine Wollmütze zu kriegen. Selbst der Anspruch, „Lautsprecher des Ostens“ sein zu wollen, zeigte Wirkungen. Chefredakteur Lehnert sieht die Redaktions- Wessis inzwischen schon zu „besseren Ossis“ gewandelt. Zu denen gehört auch die Moderatorin Claudia Jakobshagen, deren Markenzeichen darin besteht, jede Verkehrsmeldung in einen Lachanfall zu verwickeln. Die Kasselerin ist von Anfang an bei Fritz und hat festgestellt, daß sich die Ossi-Wessi-Auseinandersetzung „inzwischen nur noch auf der Flachs- und Ulkebene“ abspielt.

Das Ulken vergangen war der Redaktion allerdings, als Sprechfunker Kuttner vor gut einem Jahr seine Stasi-Kontakte einräumte. Lehnerts größter Schock bei Fritz. „Wir dachten, jetzt geht das Ost- West-Theater wieder von vorn los“. Ging es aber nicht, obwohl beide Seiten in der Situation ziemlich hilflos waren. In einer Sondersendung ließ sich Kuttner von seinem West-Kollegen Volker Wieprecht über seine IM-Geschichte befragen. Hinterher haben sie sich umarmt, weil die Beichte von Gewissensnot und Schwarzweißsicht befreite. Kuttner konnte nach ihn entlastender Akteneinsicht wieder auf den Sender. „In der Fritz-Anfangsphase hätten wir den Konflikt nicht überlebt“, sagt Helmut Lehnert.

Heute ist das kein Thema mehr, nur eitel Sonnenschein scheint ins Studio zu dringen. Doch Lehnert weiß, daß im Prinzip die Quotenspitze erreicht ist. „Niveau halten“ lautet jetzt die Devise, es soll noch mehr auf Multimedia gesetzt werden. Aber „etwas Bammel“ verspürt Lehnert schon. Daß zum Beispiel die prägenden Fritz-Stimmen meist gehörig älter sind als das eigentliche Zielpublikum des Senders, muß allerdings nicht übertriebene Sorge bereiten. Solange nur die Redefreiheit gewahrt bleibt und zur Freude der Unausgewogenheit beispielsweise Sprayer „It's time for bomb“-Parolen über den öffentlich-rechtlichen Sender schicken können. Allein, die Anarchie tobt auch bei Fritz nicht ungebremst. Zwischendurch muß selbst die Hörer-Avantgarde Reklame ertragen. Sogar für Sanso, bisher zum Glück der einzige Weichspüler im Fritz-Programm.

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