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Tausend „Taugenichtse“ belagern Ion Iliescu

Der Universitätsplatz wird zum Zentrum der rumänischen Opposition / Aufkommen einer neuen Subkultur Demonstration gegen die Übergangsregierung Iliescu / Neue Redefreiheit / Wer will, kann dabei auch Vorurteile studieren  ■  Aus Bukarest Roland Hofwiler

In den letzten Tagen war es oft kalt auf dem Platz vor der Universität, dem Platz, auf dem seit nun schon fast drei Wochen Tausende von Demonstranten ausharren, um gegen die Regierung zu demonstrieren. Doch selbst bei diesen Temperaturen nahe null Grad bleiben sie sogar nachts hier, wickeln sich in Decken ein und trinken von dem starken rumänischen Schnaps, der Leib und Seele wärmen soll. Einige jedoch verzichten auch: Sie befinden sich im Hungerstreik. Und viele haben sich ein Schild gemalt. Darauf steht „Wir alle sind Taugenichtse“ - eine Replik auf Ion Iliescu, den Interimsstaatschef Rumäniens. Der hatte die Demonstranten nämlich mit diesem Wort beschimpft und den Protest damit angeheizt.

Jeden Tag kommen mehr zur Demonstration, mit der die Regierung und die Führung der „Front der Nationalen Rettung“ unter Druck gesetzt werden soll.

Das Areal um die Universität ist sogar zu einer „vom Kommunismus befreiten Zone“ erklärt worden. Aus Lautsprechern wird erklärt, die Demonstrationen sollen solange weitergehen, bis Iliescu und seine Front nicht mehr an der Macht sind. Alle kommen zu Wort: Einmal ist es ein orthodoxer Geistlicher, der zu einer langen Rede anhebt, dann ein Liedermacher, dann einer der wortgewaltigen Oppositionsführer wie Ion Ratiu, der Chef der Bauernpartei.

Ratiu erklärte am Mittwoch sogar seine Bereitschaft, von seiner Kandidatur als Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen zurückzutreten, wenn Iliescu dies auch täte. Der Führer der National-Liberalen Partei, Radu Campeanu, schloß sich diesem Vorschlag an, denn die Opposition will wenigstens die Präsidentschaftswahlen verschieben.

Jubel erntet auch Doina Cornea, die Alt-Dissidentin aus Cluj (Klausenburg), als sie am Mittwoch bekanntgab, sich am heutigen Freitag dem Hungerstreik anschließen zu wollen.

Doch es gibt auch Positionen, die nicht durch Parteien und politische Zirkel vorformuliert worden sind. Der prominente Publizist Octavian Paler vertritt die Meinung, Europa werde Rumänien in Stich lassen, und erinnert an die Konferenz von Jalta, als die Westmächte der Sowjetunion freie Hand in Rumänien ließen, oder an die Westeuropäer, die Ceausescu die Ehre gaben. Er hält einen klugen Vortrag, der jedoch kaum Beifall bekommt. Auch der nächste Redner erhält nur wenig Zustimmung: der Student hält „die jüdische Weltlobby und die Zigeuner“ für die Drahtzieher der Ceausescudiktatur. Doch es gibt auch keine Proteststimmen.

Für manche, die die Proteste vor drei Wochen anschoben, ist diese Liberalität nicht immer angenehm: „Als wir den Platz besetzten, waren wir noch unter uns, Schüler, Studenten, Intellektuelle und Oppositionelle aus der Ceausescu-Zeit. Jetzt trifft sich Hinz und Kunz“, klagt einer. Zwischen den unzähligen Zeitungsverkäufern, Jugendlichen, die mit Zelten gekommen sind, den Arbeitern, die in ihrer Mittagspause einmal vorbeischauen, und denen, die einen hölzernen Altar für die während der Revolution Ermordeten errichtet haben, tummelt sich eine neue Subkultur. Diese DemonstrantInnen entziehen sich jeglicher politischen Lenkung von „oben“.

„Gebt eure Unterschrift für die Reise von König Michael, so werden wir ein zweites Spanien“, wirbt einer. Ein anderer möchte die „heilige Erde Bessarabiens“ für Rumänien zurückholen. Aufmerksamkeit erregt der nordamerikanische Freak, der immer wieder Dracula für tot erklärt.

„Mir gefällt nicht alles, was hier passiert“, erklärt mir Virgil, ein Architekturstudent. „Doch in Rumänien gab es nie einen Ort der Freiheit, wo alle über alles reden können. So waren und sind wir autoritätsgläubig, wer an der Macht ist, dem wurde zugejubelt. Wenn wir die Freiheit wollen, müssen wir auch manches, was wir nicht wollen, ertragen können.“ Nur Offenheit könne dem Volk weiterhelfen. „In unserem Land wird bisher nur mit Emotionen Politik gemacht, ob von den Regierenden oder von seiten der Opposition.“

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