Tatort aus Hamburg: Meine Niere, deine Niere
Cenk Batu ist als verdeckter Ermittler auf skrupellose Organhändler und ihre betuchte Kundschaft angesetzt. Doch wer ist Opfer und wer Täter? (Sonntag, 20.15, ARD)
BERLIN taz | Dieser Tatort kommt endlich mal wieder ganz ohne Leiche aus: Kaum aus dem Urlaub in der Türkei zurück, wartet ein neuer riskanter Auftrag auf Cenk Batu (Mehmet Kurtulus). Der sieht in der aktuellen Folge zwar wie das Klischee des anatolischen Schnauzbartträgers aus, der eben erst den 1970er Jahren entstiegen und als "Gastarbeiter" in Alemanya angekommen ist. Aber wahrscheinlich macht ihn das erst recht glaubwürdig für den Einsatz.
Batu wird vom LKA als Fahrer bei einer Organhändlerbande eingeschleust, die ganz ungeniert mitten in Deutschland vor allem Kinder und Jugendliche ausweidet. Die hat man zuvor unter falschen Versprechungen vom besseren Leben vor allem aus Osteuropa eingeschleust, doch auch Amelie, eine junge Deutsche, die bei ihrem gewalttätigen Vater abgehauen ist, sitzt im lebendigen Ersatzteillager.
Gut und Böse sind wie immer also klar verteilt, doch es ist die Stärke des Films, dass er auch die Grautöne zwischen Schwarz und Weiß, die Ambivalenz von Täter und Opfer deutlich macht. Die hinter dem Organhändlerring stehenden korrupten Ärzte, die in anonym für nur einen Tag online gemieteten Villen ihre Dienste offerieren, sind klar die Bösen. Doch wie sieht es mit der dringend auf eine Spenderniere angewiesene Sarah aus, einer so sympathischen wie hübschen jungen Frau? Die auf der offiziellen Warteliste für Transplantationsorgane aber so weit hinten steht, dass ihre betuchten Eltern natürlich zu jedem anderen Mittel greifen – und damit Opfer und Täter-Anstifter zugleich sind?
Für derlei Fragen hat Batu allerdings keine Zeit: Denn Amelie, grandios gespielt von der gerade erst siebzehnjährigen Michelle Barthel, provoziert auf der ersten gemeinsamen Dienstfahrt in den sicheren Tod einen Unfall und büxt aus. Dass macht den ohnehin leicht verdächtigen neuen Mitarbeiter beim Organhändlerring nicht eben beliebter. Schließlich steht der Operationstermin für Sarah schon fest, auch wenn deren Mutter mehr und mehr Skrupel zeigt.
Als Batu Amelie in einem Versteck von Straßenkindern wieder auftreibt, muss er eine der schwierigsten Entscheidungen seiner Laufbahn treffen: Das Mädchen als Köder zu benutzen, auch um die anderen von der Organmafia festgesetzten Kinder zu finden – wozu ihn sein LKA-"Führungsoffizier" Uwe Kohnau (Peter Jordan) in seiner wie immer wunderbar unterkühlt-nüchternen Art drängt? Oder Amelie endgültig in Sicherheit, auch vor ihrer eigenen Familie, zu bringen?
Zu den kleinen Schwächen des Films (Buch und Regie Nils Willbrandt) zählt, dass für solche Reflexionen in der Atemlosigkeit des Falls kaum Zeit bleibt – wenn überhaupt, haben Batu und Kohnau zur Besprechung nur ein paar konspirative Minuten im Omnibus auf der Fahrt quer durch Hamburg. Das zeigt der "Tatort" in einer selten gesehenen Vielschichtigkeit: Von den noblen Elbufervillen bis zu heruntergekommenen Industriebrache wird auch die Hansestadt in ihrer ganzen Ambivalenz beleuchtet. Im Gegensatz dazu steht die Routine, mit der der Fall schließlich zuende erzählt und heruntergespielt wird. Das ist im besten Sinne dann doch nur gehobener Durchschnitt.
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