: Tarifsystem wird abgeschleppt
■ Schlepp-Reedereien reagieren auf die niederländische Konkurrenz mit Preissenkung / Stellenabbau und Tarifänderung drohen Von Heike Haarhoff
Der „Schlepper-Krieg“ im Hamburger Hafen hat, um im militaristischen Sprachbild zu bleiben, erste „Opfer“ gefordert: Die fünf alteingesessenen Hamburger Schlepp-Reedereien senkten in der vergangenen Woche ihre Preise um 15 bis 20 Prozent, um der Konkurrenz der niederländischen Kotug-Schlepp-Reederei zu begegnen. Weitere Preisnachlässe sind zu erwarten. Nach Informationen der taz sollen verschiedene Container-Reedereien gedroht haben, die Verträge mit den deutschen Schleppern zu kündigen, falls die jetzt ausgehandelten Rabatte nicht auch rückwirkend für 1995 gewährt würden.
„Personalabbau auf freiwilliger Basis“ werden in den Chefetagen Euphemismen bemüht, um den Gewerkschaften sanft beizubringen, daß wohl 125 der rund 220 Stellen innerhalb der nächsten sechs Monate wegfallen werden – falls keine Einigung in dem Streit um Tarife, Billiglöhne und Sozialdumping-Preise erzielt wird (taz berichtete). „Uns wird das Messer auf die Brust gesetzt“, sagt Carsten-Söhnke Wibel, stellvertretender Seebetriebsrat der Schlepp-Reederei Bugsier. Denn das Interesse, gemeinsame Lohntarife zu vereinbaren und die Holländer dazu zu bewegen, ihr Zwei-Schichten-Modell zugunsten der in Hamburg üblichen drei Besatzungen pro Schiff aufzugeben, stößt bei Kotug auf wenig Gegenliebe: Die Verhandlungs-Frist bis zum 26. Januar, die die Gewerkschaft ÖTV dem Tochter-Unternehmen der Kooren-Reederei einräumte, verstrich ergebnislos.
Für Dienstag und Mittwoch haben die ÖTV-Abteilung Seehäfen und die ÖTV-Tarifkommission deshalb Krisensitzungen einberufen. Noch will niemand etwas von Zugeständnissen wissen: „Der Knochen geht nicht zum Hund. Wir warten erst einmal die Maximalforderungen der Arbeitgeber ab“, zeigt Bugsier-Hafenbetriebsrats-Vize Hein Stüven Zähne.
Eigentlich ist der „Schlepper-Krieg“ nur ein Beispiel für die drohende Lohnnivellierung nach unten in der gesamten Seeschiffahrt. „Dieses moderne Raubrittertum zu Lasten von Sicherheits- und Sozialstandards kann sich Europa nicht leisten“, findet die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Gila Altmann. Vom Motto „Konkurrenz belebt das Geschäft“ könne keine Rede sein. Vielmehr werde die Not von Langzeitarbeitslosen dazu benutzt, „weitere Arbeitslose zu produzieren“.
Heute will sich Bürgermeister Henning Voscherau höchstselbst vor Ort der Schlepper-Krise annehmen. Sein Auftritt wird mit Spannung erwartet. Die Elbvertiefung von 13,50 auf 14,50 Meter, die er am Wochenende beim Wirtschaftstreff der Hafenwirtschaftsgemeinschaft in Cuxhaven erneut zur Rettung des Standorts propagierte, dürfte für die Arbeitsplätze der Schlepper belanglos sein: Das weltgrößte Container-Schiff jedenfalls kann merkwürdigerweise am 3. Februar auch ohne die ökologisch höchst fragwürdige Fahrrinnenanpassung in Hamburg einlaufen. Voscherau aber bleibt stur: Sollten Niedersachsen und Schleswig-Holstein ihre Zustimmung zur Vertiefung verweigern, droht er ihnen mit einer Volksbefragung zum Thema Nordstaat.
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