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Tanz ums eigene Selbst

■ Reform: Trotz CDU-Geplärre fängt Bürgerschaft nun eine Stunde früher an

Solch Leidenschaft hat die Bürgerschaft nach 22 Uhr und zu anderen Themen selten entwickelt. Mitten in die routinemäßigen Abstimmungen am Ende der dreitägigen Haushaltsberatungen platzte am Mittwoch abend eine hitzige Kontroverse um die Anfangszeiten der Plenarsitzungen. Jahrelang hatte man um eine Parlaments- und Verfassungsreform gerungen. Doch plötzlich überschatteten wieder Grundsatzfragen und der Tanz ums eigene Selbst den mühsam erkämpften Konsens der Parteien: Feierabend- oder Profi-Parlament?

Die CDU hatte der Abschaffung der Ehrenamtlichkeit unter der Bedingung zugestimmt, daß eine „normale“ Berufstätigkeit zeitlich weiter möglich ist. Im Gegenzug sagte der CDU-Verfassungsexperte Rolf Kruse zu, die Vorverlegung der Anfangszeiten von 16 auf 15 Uhr zu unterstützen. Doch dann änderten die Christdemokraten ihre Meinung. Frühere Arbeitszeiten seien „frauenfeindlich“, trug CDUler Jürgen Klimke unter Gelächter der GAL und rot-grauen Buh-Rufen vor. Berufstätige könnten zudem 15 Uhr nicht schaffen. Folglich würde dann jeder kommen, wann er wolle. Die Bürgerschaft drohe zu einer „orientalischen Basargemeinschaft“ zu werden.

„15 Uhr war schon ein Kompromiß!“ schrie Jan Ehlers (SPD), dem die Reform zum Profiparlament ohnehin nicht weit genug geht. Die SPD habe ihren Teil der Abmachung eingehalten – darüber wurde längst abgestimmt – und „jetzt verweigern Sie ihre Zustimmung“. Das sei „unanständig“. Den eigenen Verhandlungsführer Kruse – der sich tief in seinen Sitz drückte – „lassen Sie im Regen stehen. Schämen Sie sich“, empörte sich auch Achim Reichert von der Statt Partei. Warum, fragte sich GAL-Fraktions-Chef Willfried Maier, habe man die Diäten überhaupt erhöht, wenn sich nun nichts ändere? „Das ist jetzt praktisch ein halbes Gehalt, für das man doch wohl um 15 Uhr mit der Arbeit beginnen kann.“

Die rot-grün-graue Mehrheit reichte trotzdem für die Änderung. Nur hatte man sie ursprünglich nicht gegen eine große Fraktion durchsetzen wollen. Nun will die CDU vor dem Verfassungsgericht klagen. Silke Mertins

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