: Taiwanesen und Chinesen
betr.: „Ein Befreier, im Palast gefangen“, taz vom 29. 11. 01
Georg Blume beschreibt den taiwanesischen Präsidenten Chen Shui-bian – in den Worten Lung Ying-tais – als einen rückständigen und reaktionären Bauernsohn, der, einmal an die Macht gekommen, die ethnische Frage überstrapaziere und die taiwanesische Gesellschaft spalte. Dagegen wird die erzkonservative ehemalige Kolumnistin der FAZ und heutige Kulturdirektorin in Taipeh, Lung Ying-tai, als moderne und weltoffene scharfsinnige Analytikerin dargestellt, die sich gegen eine Zweiteilung der taiwanesischen Gesellschaft in Taiwanesen und Chinesen wendet.
Leider werden einige wesentliche Fakten dabei unterschlagen: Ein halbes Jahrhundert bis zur Aufhebung des Ausnahmezustandes im Jahre 1987 war es der prozentual kleine Teil der Chinesen auf Taiwan (15 Prozent), die alle wichtigen Ämter im Staate innehatten, die Medien vollständig kontrollierten und die taiwanesische Sprache und Kultur brutal unterdrückten. Nach 1987 gelang es der taiwanesischen Mehrheit, einige Privilegien der Chinesen abzubauen, doch noch immer ist die Gruppe der Chinesen in den staatlichen Einrichtungen überrepräsentiert, kontrolliert das öffentliche Fernsehen und weite Teile des Kulturlebens und der Presse. [...]
Dass die Taiwanesen 50 Jahre gezwungen waren, eine fremde Sprache – Chinesisch – zu benutzen, und dass ihre eigene Geschichte verfälscht und missachtet wurde, wird als vollkommen in Ordnung betrachtet. Wenn heute die Taiwanesen beispielsweise ihre eigene Sprache nur als Zweitsprache verbindlich in allen Schulen einführen möchten, ist das in den Augen der Chinesen schon eine Mobilisierung gegen alles Chinesische. Was Chen Shui-bian den Chinesen auf Taiwan anbietet, ist eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft – mit allen Rechten und Pflichten ohne besondere Privilegien; was die Chinesen dagegensetzen, ist der Fortbestand ihres chinesischen Systems, eine Nationale Partei (KMT), die sich noch auf Jahrzehnte auf ihrem illegalen Vermögen und ihrer Macht ausruhen kann – und wenn die Taiwanesen das nicht akzeptieren wollen, lässt sich ja immer noch mit der volksrepublikanischen Karte drohen. [...] TU SUI-CHUAN, Berlin
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