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TOTE LEBEN LÄNGER

■ „Jim Whitings unnatural bodies“ im Pumpwerk Moabit

Wenn man als Fußgänger an der Ecke Alt-Moabit, Gotzkowskistraße vorbeigeht, muß man neben dem üblichen Verkehrslärm von quietschenden Bremsen und aufheulenden Motoren Töne bemerken, die der gequälten Materie zu entspringen scheinen. Es quiekt, es zischt und pfeift in Abständen aus dem alten Pumpwerk der Wasserwerke, auf dem der Hinweis Jim Whitings unnatural bodies angebracht ist.

In dem abgedunkelten Raum, der nur spärlich von einzelnen trüben Spots erleuchtet wird, zerren die Maschinen an ihren Lebensadern. Computergesteuerte Ventile geben Preßluft in den Schläuchen frei, die die Verbindung herstellen zwischen den Kreaturen aus metallenen Gliedern und einem versteckten Kompressor. In Gruppen und in Einzelexemplaren liegen die Gebilde aus Altmetall herum, sie schweben durch die Luft, schlagen um sich, und wenn man durch eine Lichtschranke geht, hat man Glück, daß eine vorschnellende Hand den Vorübergehenden verfehlt.

Gleich nebenan wird man davor bewahrt, in eine Grube zu fallen, in der zwei Giganten erstarrt liegen wie im Zoo die Krokodile. Man weiß nicht, wie lange sie schon so regungslos daliegen und ist sich dessen bewußt, wie blitzschnell sie sich auf ein Opfer stürzten, wenn es für sie erreichbar wäre. Unbegreifbar schlagen unter der Decke zwei Riesenflügel. Wenn es rational erklärbar ist, daß Preßluft der Motor ihrer kreisenden Bewegung ist, bleibt doch ein irrationaler Rest übrig, der dem Flügelschlag die Bewegung zuschreiben will. Quer durch den Raum spannt sich eine Schlange aus ausgedienten Ölfässern. Wenn sie sich windet, hört man dazu einen Schrei, der einen an die Ölpest allerorten erinnert. Dagegen kommen einem die schnappenden kleinen Damenhandtaschen nur komisch vor, denn zumindest können sie einem nichts tun, schon deshalb weil sie, wie viele andere Geschöpfe auch, hinter Drahtgittern gesichert sind.

Und wenn man in dem extra installierten Cafe, von dem man einen Überblick über die Gesamtinstallation gewinnen kann, ausruhen will, dann verunsichern einen auch dort die Lampen, die urplötzlich wie bei einem Erdbeben zu schwingen beginnen.

Jean Tinguely, der Jim Whiting als seinen legitimen Nachfolger bezeichnet hat, erschloß seinen Einzelskulpturen die unproduktive, das heißt nur sich selber nützende Bewegung. Jim Whiting erweitert dieses Konzept noch einmal, indem er ganze Räume mit seinen Skulpturen besetzt und die Betrachter zwischen ihnen hindurch lenkt. Damit wird der Besucher selbst insofern Teil der bewegten Skulptur, als er auf die „unnatürlichen Körper“ mit Angst, Ablehnung, Erschrecken, Lust oder auch unstillbarer Neugierde reagiert, wenn er inmitten dieser Installationen selbst zum Objekt wird.

Ob die Show der künstlich bewegten toten Gliederpuppen allerdings den Aufwand an Material rechtfertigt, der inzwischen auf über sechs Lastwagenladungen angewachsen ist, bleibt zumindest zweifelhaft. Von seinen Anfängen hat sich Jim Whitings leidenschaftliches Sammeln von Schrotteilen inzwischen zu einer alles verzehrenden Manie entwickelt, die ihn zu immer größeren Ausstellungen zwingt, so daß im Größenwahn der Ansammlung von Skulpturen die Einzelstücke erstickt zu werden drohen und die „Show“ zu einem Sammelsurium verkommt, das völlig beliebig kleine und große Monster aneinanderreiht nach dem Prinzip des Modelleisenbahnfetischisten, der immer neue und größere Anlagen baut, um seinen Kindheitstraum ins Greisenalter hinüber zu retten.

Qpferdach

Die Jim Whiting Show ist Mittwoch, Donnerstag, Freitag von 17.30 bis 20.30 Uhr, Samstag und Sonntag von 15 bis 19 Uhr zu besichtigen. Eintritt 5 Mark.

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