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TODERNSTE POSSEN

■ Das ZeltEnsemble spielt „Ulenspiegel“ auf dem Mariannenplatz

Die Clowns, dem technisierten und verwaisten Zirkus entlaufen, sind außer Puste im Theater angekommen - aber das Theater, die knackenden Kiefer der gähnenden Abonnenten fürchtend, hat sich inzwischen in die von Trompetenstößen erzitternde Zirkusluft geflüchtet. Für die Clowns ein Reinfall: Jetzt sind sie zur zwitterhaften Existenz verdammt und müssen nicht allein in ihrer Eigenschaft als Zirkusartisten das Publikum bei Laune halten, sondern sollen zudem als willkommene (Ver)-Fremdlinge auf dem Theater für die Brüche der Handlung und das Ingangsetzen der Reflexion des Publikums Sorge tragen. Was Wunder, wenn sie unter diesen Überforderungen demnächst zusammenbrechen.

Natürlich fehlen im „Ulenspiegel“, der 2. Inszenierung des ZeltEnsembles, in dem sich ehemalige Stadttheater -Schauspieler zum großen theatralischen Spiel im Zelt aufgemacht haben, die Clowns nicht. Sie sind Ulenspiegels schärfste Konkurrenten und Feinde. Sie konspirieren mit den Mächten von Kirche und Staat und treten in ihren Späßen stets unter sich. Lachen wird zur Mittäterschaft, eisig. Über Ulenspiegels Possen dagegen kann man gar nicht lachen was später zum Witz wird, entsteht am Rande des Todes. Ulenspiegel zieht mit seinem Spiel mit der Logik der Mächtigen gerade nur seinen Kopf aus der Schlinge. Die Clowns und der Possenreißer: Im Gegeneinander dieser Figuren liegt eine ganze Geschichte von der Vereinnahmung und Abnutzung der subversiven Figuren durch die Macht. In ihrem Spiel reflektiert das Theater des ZeltEnsembles seine Mittel.

Nachdem sich die Truppe durch 250 Varianten des Ulenspiegel -Stoffes gewühlt und sich mit seinen Interpretationen als Schelm, Weiser, resignierter Außenseiter, Aufklärer und Revolutionär herumgeschlagen hat, entschloß sie sich zu einem eigenen Szenenkonzept. Ihr Ulenspiegel ist sowenig harmloser Narr wie Held und Kämpfer. Weil er Staat und Kirche nicht mit Knüppeln, sondern ihren Sinn mit den Mitteln des Unsinns angreift, stehen sie ohne Verteidigung dar. Sie lassen ihn zu Kreuze kriechen - doch so schnell seine Figur auch gebrochen wird, so hartnäckig ist schon sein Mythos. Ulenspiegel begegnet seinen eigenen Geschichten, in denen sich die Angstphantasien der Mächtigen und der Unterdrücker treffen.

Ulenspiegel dient dem ZeltEnsemble auch als Chiffre der sich verändernden Identität im Umbruch von Mittelalter zur Renaissance. Wenn Ulenspiegel im Gefängnis seinem Vater begegnet, beide sich nicht ansehen und in der dritten Person übereinander reden, dann ist Ulenspiegel in der Fiktion ihrer Rede zum emanzipierten Individuum geworden, das sich allerdings durch Destruktion und nicht Produktivität hervortut, während die reale Person Ulenspiegel in Abhängigkeit zugrund geht.

Kaiser Karl und Infant Philipp, des starkknochigen Ulenspiegels dekadente Gegenspieler, sind einerseits schablonenhaft als Stellvertreter der Macht angelegt, andererseits als psychisch Gebrochene, die ständig verrückter ihren unhaltbaren Selbstbildern nachjagen, charakterisiert. In Mutter, Amme und Spielgefährtin des Ulenspiegel dagegen wird Volk repräsentiert mit all der Liebe, Qual, Treue und Tapferkeit der Frauen: Da brechtet und mutter-couraget es etwas zu dick.

Doch die Komplexität der Themen zersplittert sich im Gefüge der Szenen. Im Hin und Her zwischen der Bühne Ulenspiegels und der Philipps geht die Konzentration verloren. Die Luft im Zelt scheint zu dünn, um aus dem Bildertheater den Funken des Gefühls überspringen zu lassen. Bis auf Ulenspiegel (Otto Kukla) selbst verlieren die Gesten der Schauspieler ihre Präzision und schrumpfen: Das Zelt scheint ihnen einfach noch zu groß.

Seit 1986 besteht das ZeltEnsemble: Zwei Jahre sind lang, um auf dem freien Markt der Alternativ-Etikettierten zu überstehen, kurz, um ein eigenständiges Spiel zu entwickeln. Von ehemaligen Mitgliedern des Peymann-Ensembles gegründet, die nicht in den sicheren, aber dumpfen Schoß vom Wiener Burgtheater wollten, setzt das ZeltEnsemble auf die Professionalität seiner Schauspieler als Gütesiegel. Doch ihre schöne Bühnensprache wirkt oft wie eine kostbare, allein am falschen Ort ausgestellte Antiquität.

Katrin Bettina Müller

ZeltEnsemble spielt „Ulenspiegel“ bis zum 29.10., täglich (außer mo. und di.) um 19.30 im Zelt auf dem Mariannenplatz. VVK: 614 52 49 (Zelt) und 854 20 40; 16 DM/11 DM (erm.). Das Zelt wird beheizt.

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