: TIEFER WARMER FLÜGEL
■ Chris Jarrett Piano Solo im Flöz
Jarrett - bei diesem Namen fällt einem chronisch eines der größeren Verbrechen der Klaviermusik ein: The Köln Concert von Keith Jarrett. Ein Ereignis, das vor ca. zehn Jahren lebenslüsterne Jugendliche in bettlägerige Jammerlappen verwandelte; wo immer man hinkam, jeder hatte die Platte laufen und diesen DuichhabsooKummer-Ausdruck im juvenilen Gramgesichtchen, und wenn man sich so richtig ekeln und suhlen wollte, konnte man sich auch noch selbst beim triefäugigen Abhören der gestöhnuntermalenen Tastentremolage ertappen. Gah!
Chris Jarrett spielt Songs. Lässig und sehr regular-guy -amerikanisch schlendert er zum Flügel, hockt sich hin, beugt leicht den Nacken, kriecht nicht ins Instrument, läßt die Finger durch die Tasten hüpfen, federnd die Linke, suchend und stochernd die Rechte, nicht festhämmernd, sondern Töne in-, über- und durcheinanderverschiebend: Transitions. Jarrett macht eine Vierteldrehung zum Publikum, deutet eine Verbeugung an und erzählt etwas über das folgende Stück: eine Reise in die Südstaaten, die unbezahlte Arbeit, die wunderschönen Bayous. Nach jedem Song macht er das, es sind Geschichten, die er, weil sie ihm wichtig sind und er sie nicht in Texte fassen kann, kurz skizziert; aber dann sagt er doch Ach, ich spiel's einfach und schichtet Klänge zu Stimmungen auf.
Jarrett führt vor, wie tief, warm und voll ein Flügel tönt, man wird von den Bildern aufgesogen. Es ist angenehme, unaufdringliche Musik, es gibt genügend Zeit, den Spaziergängen der Finger zu folgen oder sie als Soundtrack zu den Bildern in der Kellerhöhle Flöz zu hören: der konzentrierte Mann am Mixer, der in sich zusammengesunkene Weizenbierbesteller, das in Freizeitanimatorenkluft auf einem Schemel ineinander verklammerte Pärchen, das den ganzen Abend nichts anderes zu tun hat, als vor Publikum unentwegt aneinander herumzunesteln und -zufriemeln. Warum am Ende nicht alles mit allem verpflöckelt wurde? Wer weiß, wer weiß.
Chris Jarrett bleibt von solchen Widrigkeiten des Lebens unbeeinträchtigt; er spielt ruhigweg seine Songs, jongliert die Tempi, ohne gleich nach Kuckmawasichalleskann -Kunsthandwerkerart aufzutrumpfen, rhythmisch rollt die Linke, sein Anschlag ist wunderbar, federleicht und ohne Quälerei.
Gute Menschen sind schlechte Musiker, heißt es bei Butzmann/Kapielski. Klingt gut, stimmt aber ausnahmsweise nicht. Für die Opfer der chilenischen Diktatur hat Jarrett einen Trauermarsch komponiert. „Mandela“ heißt sein letztes Stück an diesem Abend, und da braucht sich keine Note hinter einem Soli-Bonus zu verstecken. Trotzdem: Ein Flügel hat keine Gesinnung, und die Hauptschwierigkeit beim engagierten Klavierspiel ist - ähnlich der beim engagierten Schreiben diese: Man kann nicht mit den bloßen Fäusten in die Tasten schlagen. Beziehungsweise kann man beim Piano natürlich schon, aber dann klingt's wie Schlippenbach.
wiglaf droste
Chris Jarrett spielt bis einschließlich Sonntag, 21.8., täglich ab 21 Uhr im Flöz.
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