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THC-Rezept

■ Bundesregierung hält medizinischen Einsatz von Cannabis für "denkbar"

Patrick Wall, Physiologieprofessor in London, brachte es kürzlich im British Medical Journal auf den Punkt: Als Cannabis in Großbritannien bis Anfang der siebziger Jahre auf Rezept als Beruhigungsmittel erhältlich gewesen ist, hat niemand damit Probleme bekommen, und „es gibt keinen Hinweis für die Annahme, daß dies jetzt geschehen würde“. Er unterstützte damit das Anliegen von Patienten und Ärzten, die sich dafür einsetzen, daß britische Ärzte Cannabis verordnen dürfen. „Wir wissen, daß es ungefährlich und therapeutisch nützlich ist“, erklärte auch Clare Hodges, Sprecher der Vereinigiung für Cannabis-Therapie.

In der australischen Hauptstadt Canberra wurde der medizinische Gebrauch von Cannabis bereits 1994 legalisiert – Patienten ist der Besitz von bis zu 25 Gramm Marihuana erlaubt, wenn sie eine schriftliche Genehmigung durch einen Arzt besitzen. Die Reaktionen auf das freizügige Gesetz waren freilich sehr kontrovers.

Weltweit erscheint selbst in liberalen Ländern das, was für Opiate eine Selbstverständlichkeit ist, für Cannabis noch recht ungewohnt: die Beurteilung seines therapeutischen Potentials unabhängig von möglichen Gefahren bei der Verwendung als Rauschmittel zu bewerten. Der medizinische Hanf- Einsatz ist noch immer vorrangig ein politisches Thema und erst in zweiter Linie ein medizinisches.

In Deutschland ist nun weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit der Weg für den medizinischen Einsatz des Cannabis-Wirkstoffes Tetrahydrocannabinol (THC) geebnet worden: Auf der Sitzung der Sachverständigenkommission zum Betäubungsmittelgesetz am 29. Januar dieses Jahres wurde erklärt, daß synthetische Cannabisprodukte, sogenannte Cannabinoide, die es in den USA schon seit vielen Jahren gibt, nunmehr als verschreibungsfähig eingestuft werden sollen und damit auf Rezept als Medikament erhältlich wären. Nach jüngster Mitteilung aus dem Bundesgesundheitsministerium wird bereits an der Vorbereitung zur Umsetzung der Empfehlung gearbeit. Mit dieser ist im Sommer oder Herbst 1996 zu rechnen. Die Naturpflanze Cannabis wird hingegen weiterhin als „nicht verkehrsfähiges“ Betäubungsmittel eingestuft.

Ein internes Gutachten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom November 1995 hatte sich zum therapeutischen Nutzen von Cannabisprodukten noch recht zurückhaltend geäußert: „Sowohl eine unkritische Euphorie hinsichtlich der therapeutischen Möglichkeiten von Cannabis beziehungsweise THC“ entbehre der Grundlage „wie andererseits eine aus entgegengesetzten Positionen resultierende generelle Ablehnung mit der Behauptung, es gebe auf jedem Gebiet bessere therapeutische Alternativen“.

Die Bundesregierung beantwortete schließlich im Dezember 1995 eine kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Barbara Höll von der PDS – mit ausdrücklichem Verweis auf das Gutachten: „Danach ist die medizinische Verwendung von Cannabis und Cannabinoiden denkbar gegen Übelkeit und Erbrechen bei der Zytostatiktherapie [Chemotherapie; die Red.], zur Appetitsteigerung bei der Behandlung von Aids-Patienten, zur Behandlung von Muskelspasmen bei Rückenmarksverletzungen, zur Senkung des Augeninnendrucks bei Glaukompatienten (grüner Star) sowie zur Analgesie (Schmerzminderung).“

Um eine Vertiefung der medizinischen Erkenntnisse über Cannabis bemüht sich in Deutschland vor allem Robert Gorter, Professor am Krankenhaus Moabit in Berlin. Gorter plant derzeit eine Wiederholung seiner bereits in den USA durchgeführten Studien an Aids- und Krebspatienten mit insgesamt 120 Teilnehmern. Geplanter Start: Oktober 1996. Franjo Grotenhermen

Der Autor ist Mitarbeiter beim nova-Institut, Abteilung nachwachsende Rohstoffe, in Köln und hat gemeinsam mit Michael Karus die Patientenbroschüre „Cannabis als Heilmittel“ verfaßt.

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