piwik no script img

TAGESMÜLLER FOLGE IX

■ „Woyzeck“... vom Dramaticien Teater Sofia

Die Wunde Woyzeck. Bildbeschreibung von Georg Büchner/Heiner Müller: Freitagabend an der Theaterfront und der nunmehr erfahrungsschwangere Blick auf schwarzgetünchtes Schwer- und Leichtmetallgestänge, turmhochragend, stuhlreihenverdrängend, mittezentriert, läßt wichtige Absicht unter übergewichtigen Scheinwerfern erkennen: ein wahrer Müller, trotz Büchner. Dann steigt Woyzeck mit den roten Hosen vom Metallgestänge aufs rechteckige Naturpodest und entrollt den Musterteppich vor aller Augen und der leichtholzgezimmerten Asia-Fassade. Er startet den Angriff mit No-Gesinnung, unter absurden Bedingungen, mit Kabuki -Taktik und slapstick-Sprüngen. Bereits mit dem frühen und kniefälligen Auftritt der porzellangesichtigen Geisha, die sich mit feingliedrigen Armschwung und stummem Schrei augenzwinkernd der Theaterfront stellt, während hinter ihr ein bunter und brünstiger Maskerade-Soldat „Marriaah“ röhrt, kann die Attacke auf gewöhnliche Müller-Gewohnheiten als erfolgreichstes Manöver seit langem unter „wirklich wahrer Müller“ in die Theaterannalen eingehen. Befreit das Ohr vom Mikrofongeschnarre und blankgeputzt das Aug vom Projektorenflimmern sind wir an vorderster und prächtigster Theaterfront des Fronttheaters und es bleibt keine Frage, ob es sich überhaupt lohnt, ein solches zu besuchen. Die einfache Antwort eines Kommandeurs: „Wer nicht besuchen will, der wird auch nicht zum Essen bekommen und ohne Fleiß kein Preis“, läßt sich nur noch dünnstimmig mit einem anderen Zitat bekräftigen: „Schönes Theater!“

Walter-Lehmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen