: Synthesen schaffen ohne Waffen
■ Angelique Kidjo brachte nicht die Verhältnisse, aber das Metropol zum Tanzen
Das Zauberwort der Angelique Kidjo ist „Synthese“: Afrikanische Musik und europäische Vorlieben und Eitelkeiten sind für die in Frankreich lebende Sängerin aus dem Benin keine unvereinbaren Gegensätze. Auf ihrer derzeitigen Tour wird bei jedem Detail der Show mehr als eine kulturelle Trumpfkarte gezogen. Dekoration, Kostüme, Performance spielen mit afrikanischem Ambiente und westlichen Moden. Die Musik aber ist, was sticht. Spätestens beim dritten Lied fangen die Säle, in denen die Sängerin auftritt, an zu vibrieren.
Im Metropol sprang der Funke zwischen Publikum und Sängerin bei dem Lied „Akwaba“ über. Daß das Wort, das endgültig zum Tanzen animierte, in verschiedenen westafrikanischen Sprachen „Willkommen“ heißt, ausgerechnet aber in Angelique Kidjos Muttersprache, dem Fon, „Katastrophe“ bedeutet, bleibt dabei ungelüftetes Geheimnis – Ironie für Eingeweihte.
Die Sängerin und ihr Mann, der Bassist und Produzent Jean Hebrail, sind 1995 auf der Suche nach traditioneller Musik durch den Benin gereist. Jetzt wird das musikalische Amalgam präsentiert. Dynamisch arrangiert, mit Gitarre, Piano und Schlagzeug, verstärkt durch Percussion und Backgroundgesang, werden aus den Liedern ihrer Heimat afro- funkrockige Stücke. Der Rhythmus ist die alles vorwärts treibende Kraft. Die nicht immer auf Melodie versessene Sängerin übernimmt die Rolle der tanzenden Zeremonienmeisterin.
Gelegentlich tritt auch noch ein Tänzer als Voodoomann auf. Seine ekstatisch anmutenden Kopfbewegungen haben ihre westliche Parallele bei den sich in die Bewußtlosigkeit rotierenden Heavy-Metal-Fans.
Angelique Kidjo wurde in Quidah, einer Küstenstadt in Benin, als eines von neun Kindern geboren. Früh trat sie in den Theaterproduktionen ihrer Mutter auf. 1983 ging sie nach Paris, studierte klassische Musik, deren Melodielastigkeit sie anfangs irritierte, ihr jedoch eine weitere Handhabe bot für ihren eigenen Stil: Musik als Lebensgefühl, konsumierbarer Sound, ein musikalisches Geben und Nehmen. Sie glaubt an die weltverbessernde Kraft des Gesangs, erinnert sie sich doch an eine Episode aus ihrer Kindheit, als es Menschen gelang, singend und ohne Waffen einen Präsidenten zum Gehen zu zwingen.
Zumindest im Metropol allerdings dürfte die Absicht der Sängerin, durch Musik die Welt zu verändern, vergeblich gewesen sein. Die Revolution hörte dort bei der Überwindung der körperlichen Unbeweglichkeit auf. „Was ist wilder – Löwe oder Mensch“, hat Angelique Kidjo einmal gefragt. „Ich glaube der Mensch, denn er tötet, wenn er nicht hungrig ist.“ So einfach, so wahr. Waltraud Schwab
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