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Sympathie, aber auch Distanz

Frankreich diskutiert über Sinn und Unsinn militärischer Aktionen und eine etwaige eigene Beteiligung

PARIS taz ■ „Blinde und massive Gegenschläge sind das, worauf die Terroristen hoffen“, sagt Hubert Védrine, Außenminister der rot-rosa-grünen Regierung in Paris. „Was nützt es, Unschuldige zu töten, um Unschuldige zu retten?“, fragt die französische Rechtsliberale und Präsidentin des Europaparlaments, Nicole Fontaine. „Totale Solidarität“ sei nicht gleichbedeutend mit einem „Blankoscheck“, verlautet aus dem Élysée-Palast des neogaullistischen französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac.

Knapp eine Woche nach den Attentaten von New York und Washington und einen Tag vor dem Beginn einer USA-Reise von Chirac ist in Paris die erste Betroffenheit und die Sympathiewelle mit dem – wie es alle Franzosen stets ausdrücklich betonten – „amerikanischen Volk“ einer Auseinandersetzung mit dem Thema „Krieg“ gewichen. In Frankreich wehen nicht massenhaft US-Wimpel. Es haben sich auch nicht hunderttausende an Aufmärschen beteiligt. Man diskutiert jetzt über Sinn und Unsinn militärischer Reaktionen. Ganz besonders über eine etwaige französische Beteiligung.

Das Meinungsforschungsinstitut Ipsos ermittelte am Wochenende, dass 68 Prozent der Franzosen für eine Beteiligung an Vergeltungsschlägen der USA seien. Doch diese Erkenntnis deckt sich nicht mit den Gesprächen in Familien und auf der Straße. Da mischt sich längst Distanz und vor allem Kritik an der US-Außenpolitik hinein.

Bei einer Radiosendung von „France Culture“ ruft am Samstagabend ein alter Zuhörer an, der auf seine Zeit in der Résistance anspielt: „Ich will erst dann ein Amerikaner sein, wenn die USA Milchpulver für verhungernde irakische Kinder spenden“, sagt er. Die Studiogäste – ein Abgeordneter der PS, einer von der RPR und ein Experte – sind entsetzt. Der nächste Anrufer hat eine junge Stimme: „Ich will gerne Amerikaner sein“, sagt auch er in Anspielung auf den griffigen Satz, der nach den Attentaten in Umlauf kam, „aber ich bin auch ein Tschetschene. Und auch ein Ruander.“ Die Diskutanten im Studio sagen, dass man das „nicht vergleichen“ könne. Anschließend werden keine Hörer mehr zugeschaltet.

Das Recht der USA auf militärische Schläge gegen die Terrorverantwortlichen stellt niemand öffentlich in Frage. Es gilt als „legitim“. Auch wenn die Wortwahl von Präsident George Bush – besonders seine Begriffe „Kreuzzug“ und „Krieg“ – viele schockiert. Viele – darunter auch Regierungsmitglieder – weisen darauf hin, dass es sich keineswegs um eine „Konfrontation von Zivilisationen“ handele. Und betonen, dass die Lösung des zugrunde liegenden Nord-Süd-Konflikts nicht militärisch und technisch, sondern vor allem politisch sein müsse.

Doch die von der Regierung vergangene Woche bei einer Nato-Sitzung in Brüssel bestätigte französische Beistandsbereitschaft zugunsten der USA ist umstritten – auch im Regierungslager. Außenminister Védrine macht seine Differenz mit Sätzen wie: „Bislang haben uns die USA um nichts gebeten“ und „Jeder Alliierte ist frei, selbst zu entscheiden“, deutlich.

Die Entwicklung des letzten Jahrzehnts zeigt hingegen, dass Frankreich längst Weichen gestellt hat. Es ist militärisch vorbereitet, sich an Schlägen zu beteiligen. „Wenn“, so sagen Experten in Paris in diesen Tagen, ein Terror-verantwortlicher Staat ausgemacht wird, „wird sich Frankreich beteiligen“.

Die voraussichtlichen Gegner einer solchen Expedition halten sich noch bedeckt. Der rechte Souveränist Charles Pasqua plädiert erst einmal dafür, das Schengener Abkommen auszusetzen und die Grenzkontrollen in Europa wieder einzuführen. Exverteidigungsminister Jean-Pierre Chevènement, Souveränist auf der linken Seite des politischen Spektrums, sagt bislang nichts. Seine beide voraussichtlichen Hauptkontrahenten bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr, Staatspräsident Chirac und Premierminister Lionel Jospin, sind sich dieses Mal völlig einig: Null Toleranz gegenüber Staaten, die Terror dulden.

DOROTHEA HAHN

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