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■ Wieder Hungerstreik in der Kali-Grube von BischofferodeSymbole leben am längsten

Politik ist zuerst und vor allem Macht über die Sprache. Niemand wußte das besser als die Funktionäre der alten DDR. Sie haben in diesem Sommer ihre Chance in Bischofferode genutzt. Der bloße Name schien alles zu erklären: Hier besetzten Arbeiter ein Bergwerk, ihren Stolz und ihr Lebenswerk, hier schien der Feind wieder sein wahres Gesicht zu enthüllen. Bald war der Hungerstreik der Kali-Kumpel auch im Westen zum Symbol eines Widerstandes geworden, der zumindest aus sicherer Ferne als antikapitalistischer Kampf interpretierbar war.

Er war das nie, eher schon ein Indiz tiefster Resignation und des Verzichts auf jeden Versuch, eine eigene politische wie auch wirtschaftliche Perspektive zu entwerfen. Eine sentimentale Solidarität mit den angeblichen Helden ließ bald schon den bloßen Gedanken an Ersatzarbeitsplätze und regionale Entwicklungsstrategien zum Tabu werden. Von – sozialistischen – Selbstverwaltungsideen ganz zu schweigen: Nichts wäre den Protestvermarktern unwillkommener gewesen als solche Rückgriffe auf die wirkliche Arbeiterbewegung.

Zum Jahresende ist eine Reprise dieses Medienhits aufs Programm gesetzt worden, wieder ist ein Hungerstreik angekündigt, „bis zum bittersten Ende“, heißt es. Schlimmer könnte allerdings kaum noch mit dem tatsächlichen Schicksal der Bergleute gelogen werden. Längst geht es nicht mehr um ihre Arbeitsplätze, die verloren sind. Die klügeren Betriebsräte wissen das sehr gut, sollten ihnen Zweifel kommen, genügt ein Besuch bei den Kollegen von Unterbreizbach und Zielitz, den ostdeutschen Kali-Gruben, die unter dem Dach der BASF erhalten werden um den Preis zweier westlicher Standorte der Kali und Salz AG.

Aber auch in Brüssel wäre zu erfahren, daß auf Kosten des freien Wettbewerbs ein Teil der westdeutschen Kali-Produktion in den Osten verlagert wird. Die EG hat das Argument des Arbeitsplatzschutzes akzeptiert und will das faktische Monopol der neuen fusionierten Kali-Gesellschaft dulden.

Nur besteht kaum Anlaß zu Hoffnung, daß solche Nachrichten aus der Wirklichkeit im Schacht von Bischofferode ankommen. Sie dürfen dort nicht mehr gehört werden, nicht weil eine Zensur das verbietet wie früher, sondern weil das Symbol noch gebraucht wird. Die Grube von Bischofferode wird geschlossen, der Name wird fortleben als Mythos. Linke sollten sich schleunigst davon verabschieden. Schon jetzt gehört er zum Vokabular der neuen, ebenso nationalen wie sozialistischen Nostalgie.

Niklaus Hablützel

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